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Prof. Dr. Ursula Rudnick
Die Geschichte des Buches Esther spielt im persischen Reich „zu den Zeiten des Ahasveros, der König war vom Indus bis zum Nil über hundertundsiebenundzwanzig Länder" (Est. 1,1) Es handelt sich um einen mächtigen König, den Herrscher über ein großes Reich. Die Orts- und Zeitangaben des Textes sind präzise: sie sollen den Eindruck einer historischen Erzählung erwecken. König Ahasveros - mit seinem griechischen Namen als Xerxes I. bekannt- ist eine historische Person. Er regierte Persien von 486-465/4 v.d.Z. Die Bibelwissenschaft ist sich einig, dass diese Geschichte kein historischer Tatsachenbericht ist. So ist z.B. der Name der Frau von Xerxes I. bekannt: Amestris, nicht Washti oder Esther. Die persischen Könige heirateten Frauen aus führenden Familien, keine Frauen von besiegten Völkern. Und auch die Darstellung der Personen macht bei genauer Lektüre deutlich, dass es sich hier um literarische Figuren handelt. Ein König, der wie Ahasherosh handelte, wäre wohl nicht lange an der Macht geblieben. Und: der Text ist eine literarisch sehr sorgfältig gestaltete Novelle, die ein ernstes Thema, zugleich auf dramatische und zuweilen höchst amüsante Weise inszeniert. Das Thema ist das der Judenfeindschaft und der Verfolgung von Juden. Judenfeindschaft ist weder eine christliche noch eine neuzeitliche Erfindung. Sie reicht weit in die Antike zurück. Ein erster Ausbruch von Judenfeindschaft ist aus Elephantine, im Süden Ägyptens aus dem Jahr 410 v.d.Z. überliefert. Der jüdische Tempel wurde von Priestern des Khnum – unter Mitwirkung der regionalen persischen Behörde zerstört. Ein anderes Beispiel antiker Judenfeindschaft zeigt sich in den politischen Auseinandersetzungen im Lande Israel im 2. Jhdt. V.d.Z. Die Makkabäerbücher geben von den judenfeindlichen Aktivitäten des seleukidischen Herrschers Antiochus IV Zeugnis. Die Geschichte Im dritten Jahr der Herrschaft des Königs Ahasverosh , beschließt er ein Fest für alle seine Fürsten und Großen, die Heerführer von Persien und Medien, die Edlen und Obersten in seinen Ländern, (Est. 1,3) in seiner Hauptstadt zu veranstalten. Es ist ein Fest für die Mächtigen seines Landes und es dient seiner Machtdemonstration: damit er sehen ließe den herrlichen Reichtum seines Königtums. (Est. 1,4). Der König vergisst auch sein Volk nicht: auch es darf feiern vom Größten bis zum Kleinsten (Est. 1,5): Und man schrieb niemand vor, was er trinken sollte. Es scheint, dass dem König der Weinkonsum wohl etwas zu Kopfe stieg, denn als er „guter Dinge war vom Wein (Est. 1,10) befahl er seinen Kämmerern, dass sie die Königin Waschti mit ihrer königlichen Krone holen sollten vor den König, um dem Volk und den Fürsten ihre Schönheit zu zeigen; denn sie war schön. Aber die Königin Waschti wollte nicht kommen. (Est. 1.11,-12) Da wurde der König sehr zornig, und sein Grimm entbrannte in ihm. Und er fragte seinen Weisen: „Was soll man nach dem Gesetz mit der Königin Waschti tun, weil sie nicht getan hat, wie der König durch seine Kämmerer geboten hatte?" (Est. 1,15) Einer antwortete: „ Die Königin Waschti hat sich nicht allein an dem König verfehlt, sondern auch an allen Fürsten und an allen Völkern in allen Ländern des Königs Ahasveros." „Denn es wird diese Tat der Königin allen Frauen bekannt werden, sodass sie ihre Männer verachten …. Dann werden die Fürstinnen in Persien und Medien auch so sagen zu allen Fürsten des Königs, wenn sie von dieser Tat der Königin hören." (Est. 1,17-18) Die Männer sorgen sich um ihre Macht und raten dem König: „dass Waschti nicht mehr vor den König Ahasveros kommen dürfe und der König ihre königliche Würde einer andern geben solle, die besser ist als sie." Sie hoffen, dass diese Politik der Abschreckung dazu führen möge, dass „alle Frauen ihre Männer in Ehren halten bei Hoch und Niedrig. Das gefiel dem König und den Fürsten…. Da wurden Schreiben ausgesandt in alle Länder des Königs, in jedes Land nach seiner Schrift und zu jedem Volk nach seiner Sprache, dass ein jeder Mann der Herr in seinem Hause sei. (Est. 1.21-22) Dieser letzte Satz zeigt deutlich, dass es sich bei dieser Erzählung um eine Burleske mit satirischen Aspekten handelt. Haben Sie schon einmal von einem solchen Gesetz gehört, welches besagt, „dass ein jeder Mann der Herr in seinem Hause sei." Auf diese Weise formuliert, zeigt es den Wunsch – und zugleich die Ängste der Männer oder vielleicht sogar die Gewissheit – dass sie nicht Herr im Haus sind. Die Staatsräson bzw. der politische Friede im Lande verlangt die Demission der eigensinnigen Königin Washti und stellte den Hof vor die Aufgabe, eine neue Königin zu finden: „Man suche dem König schöne Jungfrauen…" In der Hauptstadt werden „… viele Jungfrauen zusammengebracht… auf das Schloss zu Susa unter die Hand Hegais, wurde auch Ester in des Königs Palast geholt." (Est. 2,8). Esther ist die Cousine Mordechais: er ist zugleich ihr Pflegevater, da sie eine Waise ist. Mordechai und Esther sind jüdisch. Morderachi – so der Text - gehört zu jenen, die nach der Eroberung Judäas durch Nebukadnezar, nach Susa verschleppt wurden. Dies geschah 586 v.d.Z. Würde die Geschichte sich tatsächlich im 3. Jahr der Regierung von Xerxes I. ereignen, müsste er jetzt 111 Jahre alt sein. Die Funktion dieser Information besteht darin, die Geschichte von Mordechai und Esther in den Rahmen jüdischer Geschichte zu stellen. Im Haus des Königs verschweigt Esther ihre judäisch-jüdische Herkunft. Mordechai hatte ihr dazu geraten. Esther wird als eine schöne und zugleich zurückhaltende junge Frau beschrieben. Sie zeigt keinen Eigensinn, sondern lässt sich auf alles ein, was ihr begegnet. Esther erhält eine Schönheitskur, die 12 Monate dauert: sechs Monate mit Balsam und Myrrhe und sechs Monate mit kostbarer Spezerei und was sonst zur weiblichen Pflege gehört. (Est. 2,12) Es wurde aber Ester zum König Ahasveros gebracht… und der König gewann Ester lieber als alle Frauen und sie fand Gnade und Gunst bei ihm vor allen Jungfrauen. Und er setzte die königliche Krone auf ihr Haupt und machte sie zur Königin an Waschtis statt. (Est. 3,16) Die Hochzeit wird gebührend gefeiert: mit einem „Festmahl Esters", und der König „ gewährte den Ländern Steuererlass und teilte königliche Geschenke aus." Hier könnte die märchenhafte Geschichte enden. Nein, sie beginnt erst richtig. Mordechai, der besorgt um Esthers Wohl war, hält sich oft im Tor des Palastes auf, da er hoffte, dort Informationen über das Wohlergehen Esthers zu erhalten. Eines Tag erfährt er, dass „zwei Kämmerer des Königs, Bigtan und Teresch", planen, den König zu ermorden. Er teilt dies Esther mit, die den König informiert. Sie vergisst nicht, Mordechais Namen zu erwähnen. Die Verschwörer werden hingerichtet und das Verbrechen „wurde aufgezeichnet im Buch der täglichen Meldungen für den König." König Ahasveros sortiert seinen Hofstaat neu und ernennt Haman zum ersten Ratgeber. Haman wird als Agagiter vorgestellt. Agag war König der Amalekiter, das Volk, welches in der Bibel exemplarisch für die Feinde Israels steht. Sie überfallen Israel, das der ägyptischen Verfolgung entronnen, durch Gott bewahrt, auf dem Weg zum Sinai ist. (siehe Ex. 17,8-16; Dtn. 25,17-19) Diese Kennzeichnung Hamans als einen Nachkommen von Amalek lässt für den Fortgang der Geschichte nichts Gutes erwarten. Haman ist als erstem Mann des Königs eine besondere Ehre zu erweisen: alle haben vor ihm zu knien. „Aber Mordechai beugte die Knie nicht und fiel nicht nieder." (Est. 4,2) Mordechai weigert sich Haman Respekt und Ehrerbietung zu zeigen. „Und als Haman sah, dass Mordechai nicht die Knie beugte noch vor ihm niederfiel, wurde er voll Grimm. Aber es war ihm zu wenig, dass er nur an Mordechai die Hand legen sollte, denn sie hatten ihm gesagt, von welchem Volk Mordechai sei; sondern er trachtete danach, das Volk Mordechais, alle Juden, die im ganzen Königreich des Ahasveros waren, zu vertilgen." (Est. 4,5-6) Haman ärgert sich über Mordechai, so weit so menschlich. Aber es reicht ihm nicht, Mordechai zu strafen, sondern er entwickelt die Phantasie, alle Juden des Großreichs zu ermorden. Hier wird deutlich, wie Antisemitismus funktioniert. Ärger über einen Menschen verwandelt sich in Hass gegen die ganze Gruppe. Ärger über die verweigerte Ehrerbietung Hamans wird ein Hass gegen alle Juden. Aus dem Hass erwächst der Plan, alle Juden des Königreiches zu ermorden. Aus dem Der Historiker Daniel Goldhagen nennt diese Art von Judenfeindschaft „eleminatorischen Antisemitismus". Antisemitismus, der sich nicht damit begnügt, Juden zu verunglimpfen, zu diskriminieren oder zu vertreiben. Nein, es ist eine Form des Antisemitismus, der auf die vollständige Auslöschung der jüdischen Gemeinschaft zielt: ein Völkermord. Haman weiß, dass er seinen Plan nicht allein umsetzen kann. Daher spricht er zum König: „Es gibt ein Volk, zerstreut und abgesondert unter allen Völkern in allen Ländern deines Königreichs, und ihr Gesetz ist anders als das aller Völker und sie tun nicht nach des Königs Gesetzen. Es ziemt dem König nicht, sie gewähren zu lassen." (Est. 4,8) Haman fällt in seiner Argumentation nicht mit der Tür ins Haus. Zunächst charakterisiert er ein Volk, ohne explizit von den Juden zu sprechen, das zerstreut und abgesondert sei. Von der Charakterisierung gelangt er zu einer Wertung: Im nächsten Satz behauptet er einen radikalen Unterschied zu allen anderen Völkern und behauptet, dass sie gegen die Gesetze des Königs verstoßen, also gegen die Staatsraison verstießen. Haman scheint sich nicht sicher zu sein, ob sein Plan des Völkermords beim König Anklang finden wird, denn er fügt ein zusätzliches Lockangebot hinzu: „Gefällt es dem König, so lasse er schreiben, dass man sie umbringe; so will ich zehntausend Zentner Silber darwägen in die Hand der Amtleute, dass man's bringe in die Schatzkammer des Königs." (Est. 4,9) Der König zögert nicht lange. Auch eine Beratung mit anderen scheint nicht notwendig. Und der König sprach zu Haman: Das Silber sei dir gegeben, dazu das Volk, dass du mit ihm tust, was dir gefällt. (Est. 4,10) Haman gibt ein Edikt in Auftrag: an die Fürsten des Königs und an die Statthalter hin und her in den Ländern und an die Obersten eines jeden Volks in den Ländern hin und her in der Schrift eines jeden Volks und in seiner Sprache, im Namen des Königs Ahasveros und mit des Königs Ring gesiegelt. Und die Schreiben wurden gesandt durch die Läufer in alle Länder des Königs, man solle vertilgen, töten und umbringen alle Juden, Jung und Alt, Kinder und Frauen, auf "einen" Tag, nämlich am dreizehnten Tag des zwölften Monats, das ist der Monat Adar, und ihr Hab und Gut plündern. (Est. 4,13) Der König und Haman feiern: der geplante Völkermord ist dem König und Haman Anlass für ein Fest. Nicht alle sind der jüdischen Bevölkerung feind: aber die Stadt Susa war bestürzt. (Est. 4,15). Als Mordechai alles erfuhr, was geschehen war, zerriss er seine Kleider und legte den Sack an und tat Asche aufs Haupt – als Zeichen der Trauer - und ging hinaus mitten in die Stadt und schrie laut klagend und kam bis vor das Tor des Königs; Dort wird ihm der Einlass verwehrt, denn es durfte niemand in das Tor des Königs eintreten, der einen Sack anhatte. Esther und Mordechai sind für ihr Gespräch nun auf Boten angewiesen. Mordechai lässt Esther ausrichten, dass sie zum König gehen solle, und zu ihm flehe und bei ihm Fürbitte tue für ihr Volk. (Est. 5,8) Esther erwidert, dass dies nicht den Sitten des persischen Hofes entspreche: dass jeder, der ungerufen zum König hineingeht in den inneren Hof, Mann oder Frau, nach dem Gesetz sterben muss, es sei denn der König strecke das goldene Zepter gegen ihn aus, damit er am Leben bleibe. (Est. 5,11) Mordechai akzeptiert diese Antwort nicht: Denke nicht, dass du dein Leben errettest, weil du im Palast des Königs bist, du allein von allen Juden. Denn wenn du zu dieser Zeit schweigen wirst, so wird eine Hilfe und Errettung von einem andern Ort her den Juden erstehen, du aber und deines Vaters Haus, ihr werdet umkommen. Und wer weiß, ob du nicht gerade um dieser Zeit willen zur königlichen Würde gekommen bist? (Est. 5,14) Wie an anderen Stellen des Esther Buches erfahren die Leserinnen und Leser nichts über die Gedanken und Gefühle der handelnden Personen. Lediglich das Resultat wird mitgeteilt. Ester lässt sich umstimmen und bittet Mordechai, dass die ganze jüdische Gemeinschaft in Susa drei Tage fasten möge. „Auch ich und meine Dienerinnen wollen so fasten. Und dann will ich zum König hineingehen entgegen dem Gesetz. Komme ich um, so komme ich um." (Est. 5,16) Klara Butting bemerkt zu dieser Stelle: „Ohne dass sich die Machtverhältnisse äußerlich geändert haben, wird Esther handlungsfähig. Ihre Perspektive gegenüber diesen Machtverhältnissen verändert sich. Sie selbst gewinnt Macht. Dies wird sogleich darin sichtbar, dass am Ende des Gesprächs Esther diejenige ist, die Mordechai sagt, was zu tun ist. (4,17) (Butting, 174) Esther geht zum König und findet Gnade in seinen Augen: Was hast du, Ester, Königin? Und was begehrst du? Auch die Hälfte des Königreichs soll dir gegeben werden. (Est. 6,3) Esther bringt nicht sofort ihre Bitte vor, sondern lädt den König zu einem festlichen Essen ein. Noch einmal fragt der König sie nach ihren Wünschen. Ein weiteres Mal lädt sie zu einem festlichen Mahl: beim zweiten Mal lädt sie den König und auch Haman ein. Gleichsam, wie um die Spannung zu steigern, legt die Erzählung den Fokus auf Haman, der „fröhlich [ist] und guten Mutes." Aber als er Mordechai begegnet, der sich nicht vor ihm erhebt, überkommt ihn der Zorn. Zu Hause erzählt er seiner Frau Seresch und seinen Freunden davon. Sie geben ihm den Rat: Man mache einen Galgen, fünfzig Ellen hoch, und morgen früh sage dem König, dass man Mordechai daran aufhänge. Dann geh du mit dem König fröhlich zum Mahl. Das gefiel Haman gut und er ließ einen Galgen aufrichten. (Est. 5,14) Dann richtet sich der Fokus der Erzählung auf den König, der des Nachts schlaflos in seinem Bett liegt. Er lässt sich das Buch mit den täglichen Meldungen bringen. Er bemerkt, dass die Person, die die Verschwörung gegen ihn aufgedeckt hat, noch keine Ehrung erhalten hat. Er fragt seinen Ratgeber Haman, wie dieser Mann – ohne den Namen Mordechais zu erwähnen- geehrt werden könne. Haman, der annimmt, dass er selber geehrt werden soll, schlägt vor: Dem Mann, den der König gern ehren will, soll man königliche Kleider bringen, die der König zu tragen pflegt, und ein Ross, darauf der König reitet und dessen Kopf königlichen Schmuck trägt, und man soll Kleid und Ross einem Fürsten des Königs geben, dass er den Mann bekleide, den der König gern ehren will, und ihn auf dem Ross über den Platz der Stadt führen und vor ihm her ausrufen lassen: So tut man dem Mann, den der König gern ehren will. (Est. 6,8-9) Und der König erteilt Haman den Auftrag. Die Geschichte nähert sich ihrem dramatischen Höhepunkt. Der König und Haman besuchen Esther. Nun endlich bringt sie ihr Anliegen vor: „Hab ich Gnade vor dir gefunden, o König, und gefällt es dem König, so gib mir mein Leben um meiner Bitte willen und mein Volk um meines Begehrens willen. Denn wir sind verkauft, ich und mein Volk, dass wir vertilgt, getötet und umgebracht werden. Wären wir nur zu Knechten und Mägden verkauft, so wollte ich schweigen; denn die Bedrängnis wäre nicht so groß, dass man den König darum belästigen müsste." Est. 6, 3-4 Der König Ahasveros fragt Ester: Wer ist der oder wo ist der, der sich hat in den Sinn kommen lassen, solches zu tun? Esther berichtet ihm von Hamans Plan, den er ja eigentlich kennen müsste, da er ja selber das Edikt unterzeichnete. Der König verlässt aufgebracht die Tafel, Haman sorgt sich um sein Leben und fällt vor Esther auf die Knie. Als der König zurückkehrt, sieht er Haman „vor dem Lager, auf dem Ester ruhte. Da sprach der König: Will er auch der Königin Gewalt antun bei mir im Palast?" Das Missverständnis wird nicht aufgeklärt. Einer der Ratgeber des Königs erinnert ihn an den Galgen: „Der König sprach: Hängt ihn daran auf! So hängte man Haman an den Galgen, den er für Mordechai aufgerichtet hatte. Da legte sich des Königs Zorn." (Est. 7,9-10) Und ist nun alles gut? Der König schenkt Esther das Haus Hamans, Mordechai erhält eine gute Position, aber das Edikt zur Ermordung der jüdischen Bevölkerung ist noch immer in Kraft. Esther wendet sich erneut an König Ahasverosh, mit der Bitte, die Gesetze, die zum Mord aufrufen, zu widerrufen. Das jedoch ist nicht im persischen Reich möglich, aber es wird ein weiteres Edikt verfassen, dass den Juden die Erlaubnis [gibt], sich zu versammeln und ihr Leben zu verteidigen und alle Macht des Volks und Landes, die sie angreifen würden, zu vertilgen, zu töten und umzubringen samt den Kindern und Frauen und ihr Hab und Gut zu plündern. (Est. 8,11) Am 13. Adar, dem Tag, da alle Juden im persischen Reich ermordet werden sollten, schlugen die Juden alle ihre Feinde mit dem Schwert und töteten und brachten um und taten nach ihrem Gefallen an denen, die ihnen Feind waren." (Est. 9, 5.) Unter ihnen auch „die zehn Söhne Hamans, des Sohnes Hammedatas, des Judenfeindes. Aber an die Güter legten sie ihre Hände nicht." Die Feinde der Juden werden getötet. Und: im Edikt des Königs stand auch, dass alle Feinde „samt den Kindern und Frauen" getötet werden dürften. Dieses Edikt, welches der jüdischen Bevölkerung ermöglicht, sich zu verteidigen, ist in seinem Inhalt mit dem Edikt identisch, dass der König zur Ermordung der Juden erlassen hatte. Die Lesenden erfahren, dass die Feinde getötet werden, jedoch „niemand Hand an das Eigentum der Getöteten [legte], obwohl der König ihnen das Recht dazu gegeben hatte. Ob auch Frauen und Kinder getötet wurden, erfahren die Lesenden nicht. Nur: dass die Söhne Hammans – sie werden namentlich benannt – getötet werden. Werden hier Kinder für die Sünden ihres Vaters verantwortlich gemacht? Wir erfahren es nicht. Denn vielleicht waren sie selber schon erwachsen und an der der Verfolgung der Juden beteiligt. Nach dem Tag der Notwehr, den der König genehmigt hatte, sind wohl noch nicht alle Feinde tot und Esther bittet den König um einen zweiten Tag der Notwehr, der gewährt wird. Die Geschichte- vielleicht sollten wir sie ein Märchen nennen – stellt sich die Umkehrung der Wirklichkeit vor. Der verfolgten Minderheit gelingt es durch kluges strategisches- politisches Handeln, einen Völkermord zu verhindern. Und nicht nur das: sie sind selber einmal mächtig, können so handeln, wie es ihre Feinde sonst mit ihnen tun. Nach der Erleichterung darüber, den Genozid verhindert zu haben, war der darauffolgende Tag, ein Tag der Ruhe, des „Festmahls und der Freude und senden einer dem andern Geschenke." (Est. 9,19) Das Esther Buch beschreibt auch die Einsetzung des Purim Festes: Und die Juden nahmen es an als Brauch, was sie angefangen hatten zu tun: nämlich ein Festmahl zu feiern, Geschenke zu machen und die Geschichte zu erinnern und zu erzählen. Es sind die Purimtage, die nicht übergangen werden sollen unter den Juden, und ihr Andenken soll nicht untergehen bei ihren Nachkommen. (Est. 9,28) Und der Befehl der Ester bestätigte die Einsetzung dieser Purimtage. Und es wurde in ein Buch geschrieben. (Est. 9.32) Entstehung des Buches Die Zeit, in der die literarische Handlung spielt, ist das 5. Jahrhundert v.d.Z. Seine Entstehung nehmen die meisten Wissenschaftler_innen für das 4.-2. Jahrhundert an.i Obwohl die Handlung im persischen Reich spielt, entstand es aller Wahrscheinlichkeit nach nicht in diesem kulturellen Kontext. Adele Berlin arbeitet heraus, dass der Text viele der griechischen Stereotype über die persische Herrschaft enthält. Zu ihnen zählen unbeschreiblicher Luxus, ein autokratischer Herrscher etc. Die literarische Gattung ist eine Novelle. Die Bezeichnung als Novelle wird jedoch ihrer komischen Seite nicht gerecht. Wäre sie ein Theater-Stück, dann könnte sie als Burlesque bezeichnet werden. Die Textüberlieferungen Der Text des Esther Buches in reformierten Bibeln folgt ganz der hebräischen Version der Bibel. Die meisten katholischen Übersetzungen folgen der Septuaginta, einer griechischen Übersetzung der Hebräschen Bibel. Sie entstand ab dem 3. Jahrhundert v.d.Z. für die zahlreichen in der Diaspora lebenden Juden, deren Alltagssprache das Griechische war. Meist folgt der Text der Septuaginta in enger Anlehnung dem Hebräischen, manchmal wird der Text in recht freier Weise übertragen und es finden sich zuweilen Ergänzungen. So auch im Buch Esther. In den meisten Luther-Bibeln findet sich eine Übersetzung des hebräischen Textes. In manchen Ausgaben finden sich „Zusätze" – dies sind die zusätzlichen Texte der Septuaginta. Zur Auslegungsgeschichte im Judentum Das Buch Esther zählt zu den fünf Megillot, den Rollen. Die fünf Bücher Rut, Hoheslied, Kohelet, Klagelieder und Ester werden an den Festen Schawuot, Pessach, Sukkot, Tischa beAv und Purim gelesen. Im Judentum ist diese Geschichte fest im Jahreskreis der Feste verankert. Jedes Jahr am 15. Adar – meist im Monat März – wird Purim gefeiert. In diesem Jahr fand am 15.-16. März statt. Das Buch der Esther wird in der Synagoge auf Hebräisch gelesen. Jedes Mal, wenn der Name des Bösewichts Haman im Text erscheint, wird mit Rasseln oder Tröten Lärm gemacht. Ein Brauch, der bereits im Buch selbst erwähnt wird, ist das Versenden von Geschenken: Schalach Manot. Nicht allein Freunde, sondern auch die Armen werden dabei bedacht. Darüber hinaus gibt es – wie an den meisten jüdischen Festen – spezielle Speisen, die den Inhalt sinnlich vermitteln. Zu Purim werden Hamantaschen gegessen: dreieckige Mohntaschen. Eine symbolische Art, das Böse zu vertilgen. Im Talmud (Meglila 7b) steht die Aufforderung, soviel Alkohol zu trinken, bis der Unterschied zwischen dem Bösewicht Haman und dem Guten Mordechai verschwindet. Ein anderer Brauch besteht darin sich zu verkleiden: jüdische Kinder – und auch Erwachsene – auf der ganzen Welt kostümieren sich an diesem Tag, stellen die Welt auf den Kopf. Zu diesem Anlass werden Purim-Spiele verfasst, die Aktuelles aufgreifen. Sie können einen harmlos heiteren oder einen politisch ernsten Charakter haben, wie z.B. die Hitler-Rolle, die Megillat Hitler. Sie wurde während des Zweiten Weltkrieges in Marokko im Stil der Estherrolle verfasst und erzählt die biblische Geschichte in neuem Gewand. Hitler ist Achaschveros, Göring Haman und Roosevelt, Churchill, Stalin und De Gaulle sind der moderne Mordechai. Die Rolle, in biblischem Hebräisch geschrieben, zeigt, wie mit Hilfe biblischer Texte Erfahrungen der Gegenwart gedeutet und verstanden werden können. Der Philosoph Emanuel Levinas geht der Frage nach, warum das Esther Buch in den Kanon der Bibel aufgenommen wurde, wo doch der Name Gottes nicht explizit erwähnt wird. Levinas findet einen Grund hierfür in der Antwort Esthers, nachdem sie sich entschied, zu ihrem Volk zu stehen und für es einzustehen: „Soll ich umkommen, so komme ich um." (Est. 4,16) stellt sie nüchtern fest. Levinas kommentiert: „Der Tod eines anderen Menschen beunruhigt mich in meiner Sorge mehr als mein eigener."ii Der Kern jüdischer Identität und menschlichen – humanen- Daseins, zeigt sich – nach Levinas - in der Sorge um die Unversehrtheit der Nächsten. Nicht der Glaube an Gott, der ja bei Esther vorhanden ist (sie betet und fastet), sondern die Anteilnahme am Schicksal der Mitmenschen wird hier in den Fokus gerückt. Gegenwärtige Exeget_innen sehen in Esther ein Buch, das das Leben in der Diaspora reflektiert. Jon Levenson sieht in ihm eine Verteidigung der Selbstbestimmung in der Zeit des Exils.iii Das Buch zeige auf, das Leben im Exil möglich ist, ja ein selbstverständlicher Teil jüdischer Existenz ist. Zur Auslegungsgeschichte im Christentum Ein erster christlicher Kommentar ist von Rhabanus Marus 836 verfasst. In ihm setzt er Ahasveros mit Christus, Washti mit der verstoßenen Synagoge und Esther mit der – an ihrer Stelle erwählten – Kirche gleich. Das Esther Buch wurde benutzt, um in es, die christliche Lehre der Substitution, der Ersetzung des Judentums durch die Kirche, einzutragen.iv Katholische Auslegungen finden später einen anderen Zugang zu diesem Buch: Sie sehen in Königin Esther präfiguiert. „Esthers Krönung durch Ahasveros (2,17) präfiguriert die Krönung Mariens durch Christus, und Esthers fürbittender Gang zum König (5,1f) entspricht der Rolle Mariens als Fürbitterin der Menschheit am Thron Gottes." v(Wacker, in Butting 80) Ein Beispiel aus der Kunstgeschichte, wo diese Deutung augenfällig wird, ist die Tafelmalerei von Konrad Wirtz aus dem 15. Jhdt. Protestantismus Die typologische Auslegung ablehnend, fand der Reformator Martin Luther keinen positiven Zugang zum Esther Buch. In den Tischreden urteilte Luther, das Buch "judenze zu sehr" und wäre am besten „gar nicht vorhanden." In der evangelischen Auslegungstradition wurde das Buch selten geschätzt. Oftmals diente es der Bestätigung antijüdischer Vorurteile. So seien z.B. die Juden tückisch und voller Lüge, grausam und von Hass und Fanatismus gegen Nichtjuden erfüllt. Die negativen Bewertungen im 19. und 20. Jahrhundert sind zahlreich. Erich Zenger sieht in den negativen Wertungen christlicher Ausleger „ein erschreckendes Urteil über das Christentum selbst, das in der Geschichte vielfach die Rolle des Haman gespielt hat."vi Jedoch es gibt auch andere Stimmen: „Esther gehört zu den literarischen Kostbarkeiten der Bibel, die sich bei unvoreingenommener Begegnung auch heute noch dem Leser erschließen."vii Im kirchlichen Leben hat das Buch bisher keinen Ort. Esther ist weder als Predigttext noch als eine gottesdienstliche Lesung in den evangelischen Kirchen in Deutschland vorgesehen. Zur Auslegung in der Gegenwart Die Neuentdeckung dieses Buches ist insbesondere feministischen Theologinnen zu verdanken. In Deutschland sind hier Klara Butting und Marie-Theres Wacker zu nennen. Klara Butting liest die Geschichte als eine Geschichte von Befreiungstheologie im Widerspruch zu Sexismus und Antisemitismus. „Die Frauen sollen deklassiert und gebrochen werden, der Hass gegen das jüdische Volk zielt auf Vernichtung…."viii (Butting, 173) Klara Butting beobachtet, dass sich viele christliche Frauen unmittelbar mit Waschti, der Frau, die sich dem König offen widersetzt, identifizieren und Esther gegenüber eine gewisse Verachtung zeigen. Denn zunächst ist Esther durchaus eine angepasste Frau. „Erst nach einer langen Zeit … steht sie auf und handelt… und dann taktiert sie in ihrem Widerstand eher, als dass wie Waschti geradeheraus Nein sagt." (Butting, 175) Und dann fährt Klara Butting fort: „Dennoch bin ich sicher, dass der Widerstand sehr vieler Frauen in der Regel dem Esters ähnlicher sieht als dem Waschtis…." (Butting, ibid.) Ein anderer wichtiger Aspekt auf den Klara Butting hinweist, ist der Anstoß am jüdischen Widerstand, der Gewalt einschließt. „Wenn ChristInnen den gewalttätigen Widerstand im Estherbuch kritisieren, müssen sie überprüfen, ob ihrer Kritik ein tödliches Verständnis von Sünde und Gnade zugrunde liegt, dem es gleichgültig ist, ob Juden und Jüdinnen vernichtet werden oder ob die Organisatoren dieser Vernichtung zugrunde gehen." (Butting, 177)] Dies ist ein wichtiger Hinweis. In der Geschichte der Auslegung bis in die Gegenwart hinein, wird immer wieder von christlichen Leserinnen und Lesern Anstoß an der Tötung der Judenfeinde genommen. Hierzu ist zweierlei zu sagen: der Charakter des Buche, wie z.B. die Schilderung des Königs, macht deutlich, dass es sich hier nicht um eine Geschichte handelt, die auf historischen Fakten basiert. Und: betrachten wir die Sachebene, den literarischen Sachverhalt und Wortlaut des Textes. Es handelt sich hier keinesfalls um einen „Antisemitenpogrom" – wie z.B. Jan Assmann meint, sondern um Selbstverteidigung und Notwehr. Alle diejenigen, die Juden töten wollten, werden selber getötet. Diese Vorstellung – so zeigt es die Feier des Purim Festes – ist eine Umkehrung der oftmals gemachten historischen Erfahrung von Verfolgung bis hin zur Ermordung, bei denen die Feinde der Juden oftmals weder an ihren Plänen gehindert noch für ihre Taten bestraft wurden. Das Buch Esther verhandelt ein ernstes Thema in ungewohnter Form, indem es die Welt auf den Kopf stellt und zur Perspektivveränderung einlädt. Austausch mit der Nachbarin 1. Sind Sie dem Buch Esther schon einmal begegnet? 2. Gott wird nicht explizit in diesem Buch erwähnt. Welche Bedeutung hat dies für Sie? 3. Warum ist es wichtig, dass wir uns mit Esther beschäftigen? 4. Wie und wo könnte die Beschäftigung mit dem Estherbuch Eingang in das Kirchenjahr oder die Gemeindearbeit finden? Bedeutung des Esther-Buches für Christinnen und Christen in der Gegenwart  Judenfeindschaft ist kein neuzeitliches Problem  Erinnerung daran, dass „Antisemitismus eine Sünde wider Gott und Mensch" ist.  Sich der christlichen Geschichte als „Haman" bewusst zu werden  Antisemitismus als ein Problem der Gegenwart in Deutschland – auch in unseren Kirchen – und in Europa wahrzunehmen und zu bekämpfen. Literatur Bardtke, Hans, Luther und das Buch Esther, Tübingen 1964. Berlin, Adele. Esther. The JPS Bible Commentary. Philadelphia: JPS, 2001. Brenner, Athalya, A Feminist Companion to Ester, Judith and Susanna, Sheffield 1995. Butting, Klara, Das Buch Esther. Vom Widerstand gegen Antisemitismus und Sexismus, in: Schottroff, Luise / Wacker, Marie-Theres (Hgg.), Kompendium Feministische Bibelauslegung, Gütersloh 1998, 169-179. Butting, Klara / Minnaard, Gerard / Wacker, Marie-Theres (Hgg.), Ester. Mit Beiträgen aus Judentum, Christentum, Islam, Literatur, Kunst, Wittingen 2005. Herrmann, Wolfram, Ester im Streit der Meinungen (BFATAJ 4), Frankfurt/M. 1986. Hirdt, Willi, Esther und Salomé. Zum Konnex von Malerei und Dichtung im Frankreich des 19. Jahrhunderts, Tübingen 2003. Wacker, Marie-Theres, Ester. Jüdin. Königin. Retterin, in: Kath. Bibelwerk (Hg.), Bekannte und unbekannte Frauen der Bibel, Stuttgart 2006. Wahl, H. M., Esther-Forschung, in: ThR 66 (2001) 103-130. Zenger, Erich, Das Buch Ester, in: Zenger, Erich (Hg.), Einleitung in das Alte Testament, Stuttgart, 1995. 201-210. i Rainer Kessler. „Historischer Hintergrund". In: Butting, Klara et. al. (Hg.) Ester. Wittingen: Erev Rav, 2005. 55-56. ii Gerard Minaard. Das Buch Ester und Emmanuel Levinas. In: Butting, Klara et. al. (Hg.) Ester. Wittingen: Erev Rav, 2005. iii Jon Levenson. „The Scroll of Esther in Ecumenical Perspective." JES 13, 1976 440-452. iv Rainer Kessler. „Historischer Hintergrund". In: Butting, Klara et. al. (Hg.) Ester. Wittingen: Erev Rav, 2005. 56. v Marie-Theres Wacker. „Ester im Bild" In: Butting, Klara et. al. (Hg.) Ester. Wittingen: Erev Rav, 2005. 80. vi Erich Zenger. Einleitung in das Alte Testament. Stuttgart: Kohlhammer, 1995. 210. vii Otto Kaiser. Einleitung in das Alte Testament. 5. Auflage, 1984. 202. viii Butting, Klara, Das Buch Esther. Vom Widerstand gegen Antisemitismus und Sexismus, in: Schottroff, Luise / Wacker, Marie-Theres (Hgg.), Kompendium Feministische Bibelauslegung, Gütersloh 1998, 173.

Source: http://www.borkumer-kirchengemeinden.de/tl_files/Kirchen/images/Seiten/Dokumente/Vortrag%20Esther.pdf

Powerpoint presentation

PREVENCION E INTERVENCION CONTRA EL ACOSO ESCOLAR Capacitación del Empleado de la Corporación Escolar sobre la PrevenciónFuente: Departamento de Educación de Indiana Según la Asociación Nacional de Psicólogos Escolares, 160,000 estudiantes por día faltan a la escuela cada día a causa del acoso escolar (bullying) (Fried & Fried, 2003).

art-of-beauty.at

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