Chiaramente, ogni formato ha i propri vantaggi e svantaggi
comprare ampicillina online in italia per effettuare un acquisto, non è necessario fornire la prescrizione medica.
Microsoft word - 11_wild.doc
Ent-Setzte Lektüren.
Literarische Bildung und ästhetischeIndividualität in Antoni Tàpies'
Memòria personal
Gerhard Wild (Frankfurt am Main)
l'esprit n'achève
rien par soi-même
(Paul Valéry, 1957: 622)
1 Ästhetische Erfahrung als Selbst-(Er)findung
Mehr als einmal hat sich Antoni Tàpies generell zur schriftstellerischen
Tätigkeit bildender Künstler geäußert und beklagt, dass in Spanien nach
wie vor die Erschließung solcher Schriften einem Verdikt unterläge:
Mentre que avui, tant a Europa com als Estats Units, diversos editors els consagren
col∙leccions senceres, entre nosaltres és un tema, que salvades honroses excepcions,encara sembla que es vulgui resoldre amb el
¡Que inventen ellos! (Tàpies, 1984: 183)
Ähnlich wie die literarischen Werke des Musikers Berlioz oder die
Gemälde Arnold Schönbergs sehen sich die literarischen Arbeiten bilden-
der Künstler dem Vorurteil ausgesetzt, es handle sich dabei lediglich um
ephemere Produktionen, die keiner wissenschaftlichen Erschließung
bedürften.1 Sieht man vom Schaffen Salvador Dalís ab, so haben sich we-
der die Literaturwissenschaft noch die Kunstgeschichte bislang mit der
schriftstellerischen Produktion von Malern, Architekten und Bildhauernbeschäftigt; die Literaturwissenschaft aus Unkenntnis der Quantität und
Qualität dieser außerhalb des jeweiligen nationalen Kanons liegenden
Texte, die Kunstwissenschaft vor allem, weil ihr schriftliche Äußerungen
von bildenden Künstlern nur als Autorität zur ästhetischen Interpretation
von Bildwerken oder als biographische Dokumente dienten. Tàpies nennt
1 Cf. zum Folgenden Wild (2014).
Zeitschrift für Katalanistik 26 (2013), 153–200
als Gewährsmann hierfür in dem oben zitierten Essay über „Escrits de
pintors"2 den von ihm hochgeschätzten surrealistischen „ami de peintres"
Paul Éluard, der 1952 in der Einleitung zu einer Sammlung von „Ècrits surl'art"3 postulierte: „els artistes quasi sempre són els més capacitats tant per
mostrar les seves invencions com per explicar-les" (Tàpies, 1984: 184).
Doch tatsächlich bleibt trotz beachtlicher editorischer Bemühungen im 20.
Jahrhundert der Beitrag bildender Künstler zur Literaturgeschichte ein
weißer Fleck auf der Karte nationaler Literaturgeschichten. Texte bildender
Künstler finden sich in nahezu allen Nationalliteraturen von Argentinien
bis Russland, begreifen sämtliche Gattungen ein – von Brief, Tagebuch,
Essay und Aphorismus über Lyrik und Drama bis zum voluminösenRoman, wie auch Tàpies
en passant vermerkt („no solament en teories, sinó
en tot tipus de formes literàries", (Tàpies, 1984: 183). Die Frage, warum
Maler „no solament en teories" schreiben, kann nicht aus dem Psycholo-
gismus der Doppelbegabung4 oder dem vorstrukturalistischen Leitgedan-
ken der „wechselseitigen Erhellung der Künste" (Walzel, 1917) beantwor-
tet werden, sondern aus zwei Aspekten, deren Ineinandergreifen den
Schreibvorgang begründen. Will man sich nicht mit der schwachen
Hypothese begnügen, dass von früheren Künstlern wie Cimabue oderGiotto vielleicht keine Aufzeichnung erhalten sind, so scheint die Frage
nach dem Anlass solcher heteropoietischen Aktivität auf die (in der frühen
Neuzeit noch als sündhafte Hybris behaftete)
curiositas zurückzuweisen.
Nicht umsonst zitiert Tàpies an zwei Stellen seiner Texte die Schlusspas-
sage aus Paul Gauguins letzten Tahiti-Aufzeichnungen,5 die Schreiben in
die Schleifenbewegung einer anthropologischen Selbstverdoppelung setzt:
Il est cependant du devoir de chacun de s'essayer, s'exercer. A côté la richesse de l'intel-
ligence humaine, et de toutes ses facultés, beaucoup de choses à dire et
il faut les dire.
(Gauguin, 1989: 209f.)
Dass sich am historischen Beginn das Schreiben zumal von Künstlern
um die „fremde Gestalt des Wissens, […], die man den Menschen nennt"
(Foucault, 1971: 27) zentriert, ist Antoni Tàpies nicht entgangen. Es dürfte
2 Erstdruck in Kastilisch in
La Vanguardia am 6.3.1984.
3 Vgl. Éluard (1968: II, 509–523).
4 Vgl. Wais (1937), Hjerter (1986) und Schvey (1992).
5 Vgl. Tàpies (1984: 186): „Tenim el deure d'assajar-nos, d'excitar-nos en les múltiples
facultats humanes […] Al costat de l'art, de l'art molt pur, hi ha altres coses a dir, i s'han
Ent-Setzte Lektüren: Antoni Tàpies'
Memòria personal
daher auch kein Zufall sein, dass bildende Künstler sich in dem Moment
dem Schreiben zuwenden, indem die Malerei sich mit der Neudefinition
des Selbstporträts in das Spannungsfeld von Selbstbestätigung undSelbsterforschung des Menschlichen begibt. Mit der Suche nach dem inne-
ren Verhältnis des Darstellenden zum Dargestellten expandieren Malerei
und Literatur einen Gegenstandsbereich, der gerade durch die Perfektio-
nierung der Maltechnik und der unter humanistischem Einfluss eben erst
geformten Volkssprachen erobert wurde, um sich vorzugsweise mit einem
Nicht-Darstellbaren zu befassen, der Frage, inwieweit der Mensch sich
selbst denken kann – jenem Problem, dem Michel Foucault bekanntlich
sein Hauptwerk
Les mot et les choses gewidmet hat.
Die ersten Äußerungsformen des literarischen Dilettantismus jener
frühneuzeitlichen Universalmenschen korrespondieren insofern mit einer
in jeder Professionalität ruhenden Entfremdung des schöpfenden Ichs in
dem Moment, in welchem es sich als solches zu denken beginnt: nicht um-
sonst handeln alle hier genannten Hauptwerke frühneuzeitlicher Künstler-
texte von der Entdeckung des eigenen Ichs, sei es als Höfling im petrarki-
sierenden Habitus (Michelangelo) als abenteuerliche autobiographische
Selbstinszenierung (Cellini), als scharfsinniger Zeuge einer vielfältigen Rea-lität (da Vinci), oder als kynischer Beobachter der
conditio humana eines
heruntergekommenen Künstlerhelden (Pontormo). Wie noch bei Tàpies
geht es in den frühesten Zeugnissen von der Schreibaktivität bildender
Künstler um 1500 – den heterogenen Notizen Leonardo da Vincis, den
fast dreihundert Gedichten Michelangelos, mit Benvenuto Cellinis Auto-
biographie und dem Tagebuch Jacopo da Pontormos – bereits um den
Versuch, sich der letztlich uneinholbar fremden Gestalt des Wissens zu
versichern, die freilich anders als in der Frühphase nicht mehr als subjekt-zentrierte
curiositas „Gestalt der Ziellosigkeit" (Vinken, 2000: 801) ist. Nur
unter den geänderten Vorzeichen eines sich vor allem im Vorgang der
Selbstvergewisserung feiernden Subjekts ist das Motto des apokryphen
Zenmeisters Liä Tse zu lesen, das Tàpies seiner Selbstlebensbeschreibung
¿Quin és l'objectiu suprem del viatger? L'objectiu suprem del viatger és ignorar on va.
(Tàpies, 1977: 9)
Im Kontext einer Selbstentdeckungshistorie des abendländischen Sub-
jekts scheint Tàpies' Memoirenwerk insofern weniger auf
engagement als
sozialer Verortung von Kreativität als vielmehr auf die emotional-ästheti-
sche Kategorie des
diletto als einer mutwilligen Entprofessionalisierung
künstlerischer Ausdrucksweisen hingeordnet. Denn die in dem Zen-Zitat
als Ziel gefeierte Ortlosigkeit stellt bereits in den frühesten frühneuzeit-lichen Künstlertexten ein Problem dar, da in dem Moment, in welchem das
Subjekt sich selbst zu denken beginnt, es auf textueller Ebene mit jenen
Verstellungen hantiert, die es als soziales Wesen begründen: Nicht erst
Montaigne oder gar La Rochefoucauld, sondern der spätrömische Kaiser
Marc Aurel erneuert die Methodik eines Selbsterkennens, das der mit
gutem Grund anonym gebliebene Verfasser des
Lazarillo de Tormes in das
nachgerade perfide Zwiedenken überführt, dessen Authentizität stets die
Maske eines diskursiven
patchwork bleibt. Konnte Entfremdung des schöp-ferischen Ichs im zeitweiligen Verzicht auf Professionalität aufgehoben
werden, so spaltet sich das schreibende Individuum jenseits der Werkstatt
in eine maskenhafte Pluralität. Nicht die Entdeckung des eigenen Subjekts,
sondern der Hiatus von Ich und Welt begründet (pseudo-)autobiographi-
sches Schreiben seit den Anfängen solcher Egoliteratur: Michelangelo als
Höfling im petrarkisierenden Habitus, Cellini als Abenteurer, Leonardo als
staunender Zeuge einer sich im Blick zusehends komplexer darbietenden
Tatsächlich ist seit der Entstehung des Genres Autobiographie dessen
genuine Spaltung zwischen den Polen von sprachlicher Fiktion und histo-
rischer Faktizität. Sehr treffend bemerkt daher Paul de Man (1993: 134):
„Die Unterscheidung zwischen Fiktion und Autobiographie scheint also
keine Frage von entweder-oder zu sein, sondern unentscheidbar." Folge-
richtig sei die Literarizität der Autobiographie „keine sich ursprünglich
geschichtlich ereignende Situation" (De Man, 1993: 134). De Mans Schluss-
folgerung für das „unmögliche" Genre lautet demgemäß, dass die Auto-biographie mitnichten in der Lage sei, „eine verläßliche Selbsterkenntnis"
hervorzubringen, sondern im Gegenteil „auf schlagende Weise die Un-
möglichkeit der Abgeschlossenheit und der Totalisierung aller aus tropo-
logischen Substitutionen bestehenden textuellen Systeme demonstriert"
(De Man, 1993: 134). Bereits am Beginn der Schreibaktivität von bildenden
Künstlern steht nicht weniger als das Leben die Literatur als Modell.
Nicht erst durch Jean-Paul Sartres Versuch autobiographischer Dekon-
struktion
Les mots, sondern vor allem durch Salvador Dalís erst seit etwaeinem Jahrzehnt ernsthaft erforschten und wohl auch von Tàpies in seiner
Durchtriebenheit nicht hinreichend gewürdigten6
The Secret Life of Salvador
6 Vgl. Tàpies (1984: 185).
Ent-Setzte Lektüren: Antoni Tàpies'
Memòria personal
Dalí (Wild, 2007) haben wir uns daran gewöhnt, dass am Ende der Moder-
ne das eigene Leben zu erzählen nicht mehr bedeutet, Diskursivitäts-
begründer einer Rede über sich selbst zu sein. Schon Redon, Gauguin,Klee, Man Ray und noch Antoni Tàpies täte man Unrecht mit der Unter-
stellung, ihre autobiographischen Texte reproduzierten ein unverstelltes
en el seu millor aspecte purificador –i pot l'art anar més enllà?– la nostra
persona, el‘coneix-te a tu mateix', la lluita per obtenir l'estat de consciència necessari té, com és
sabut, moltíssima importància. (Tàpies, 1973: 67)
Indes erweist sich
Memòria personal vor allem in seiner ersten Hälfte als
in hohem Maße durch intertextuelle Einschreibungen imprägniert. In der
folgenden Untersuchung soll daher gezeigt werden, wie Tàpies' Autobio-
graphie entlang der Richtschnur gelebten und empirisch überprüfbarenLebens aus überschriebenen Fragmenten von Literatur entsteht.7 Von der
in jüngster Zeit in der Literaturwissenschaft für die nachavantgardistische
Gegenwartsliteratur vorgeschlagenen Kategorie der „Autofiktion" (Bui-
sine, 1992) trennt Tàpies (und mit ihm zahlreiche Egodokumente schrei-
bender Künstler seit Leonardo und Benvenuto Cellini) daher nicht der –
beide Textsorten eher verbindende – Umstand, dass die Autobiographie
Verfahrensweisen anwendet, die sich an ältere textuelle Modelle und dis-
kursive Verfahren anlagern und einen Metadiskurs über das eigene Schrei-ben führen; vielmehr trennt Tàpies' Schreibpraxis von genuin autofiktio-
nalen Produktionen lediglich der kontinuierlich behauptete Anspruch, ein
autobiographischer Text zu sein. Wenn nämlich „Subjektivität erst als
Autoreflexivität des Vorstellens korrekt beschrieben" (Gumbrecht, 1991b:
308) werden kann, so begründen autofiktionale Potentiale des Schreibens
gerade durch intertextuelle Absorption die Möglichkeit einer Künstlerrede
über das Selbst. Diese versuchte zwar seit der Neuzeit beharrlich, sich vom
Image des „artifex" oder „mechanikós" als eines bloßen Handwerkers,nachschaffenden Verfertigers oder bloßen Arrangeurs von Realitäten aus
zweiter Hand durch prononcierte Behauptung der Authentizität zu eman-
zipieren. Doch der vorgebliche Subjektivismus der unverstellten Beichte
einer Person, deren tägliches Brot es seit der frühneuzeitlichen Lebenswelt
7 Vgl. Dirscherl (1986), der als erster und bislang einziger sich als Literaturwissenschaftler
dem Werk von Tàpies genähert hat und zu Recht auf den Fragmentarismus von Tàpies'
autobiographischem Entwurf aufmerksam gemacht hat.
doch war, im Sinne Platons als „Macher dritter Ordnung" zu hantieren8,
kollidiert bereits in der Frühzeit mit dem Handwerksanspruch, so dass von
Leonardo bis zu Tàpies explizit oder über einen intertextuellen Binnen-modus vermittelte Autoreflexivität sich immer wieder als Konstruktion
von Intensitätsmomenten zu erkennen gibt.
Insofern sollen die folgenden Ausführungen zur literarischen Gestalt
des Memoirenwerks eines der letzten „Großmaler" der späten Moderne
zeigen, wie Tàpies' Autobiographie sich der Autofiktion durch einen
„hybriden Pakt mit dem Leser" (Ott, 2012: 158) annähert. Während näm-
lich der Text der
Memòria personal in Permanenz intertextuelle Verweise als
Authentizitätsmarkierungen herausschleudert, um das Konfessionsargu-ment zu untermauern, produziert er an der Textoberfläche ebenso perma-
nent intertextuelle Ausblühungen, die dem neuzeitlichen Subjektivismus
und dessen gesteigerten Originalitätspostulat eine Absage erteilen, um im
qualitativen wie quantitativen Verhältnis von usurpiertem Material zur
autobiographischen Gesamtkonzeption auf die Inszenierung einer subjek-
tiven Selbstsetzung aufmerksam zu machen, die damit zugleich die Verfah-
ren des bildnerischen Schaffens reflektiert.
Wie häufig in Texten schreibender Maler, so erklärt auch in Tàpies
Memòria personal nicht der literarische Text die Bildwerke, sondern deren
phänomenale Verfasstheit macht die Handwerkstechniken des einzigen
literarischen Texts sichtbar, den der Katalane veröffentlicht hat.
Der fol-
8 Platon (1971: IV, 808f.) (Пολιτεία, 600e): „Wollen wir also feststellen, daß von Home-
ros an alle Dichter nur Nachbildner und Schattenbildner der Tugend seien und der
anderen Dinge, worüber sie dichten, die Wahrheiten aber gar nicht berühren; sondern,wie wir eben sagten, der Maler werde etwas machen, was man für einen Schuhmacher
hält, ohne selbst etwas von der Schusterei zu verstehen, und für die, welche nichtsdavon verstehen, sondern nur auf Farben und Umrisse sehen?" Nahezu identisch fällt
noch um 1840 Eugène Delacroix' Kritik an den Dichtern aus, die in seinem persön-
lichen „paragone" lediglich rhetorische Blender seien, die aufgrund der Eleganz ihressprachlichen Ausdruck den Eindruck allumfassender Könnerschaft erwecken: „Quoi
qu'en puissent dire les littérateurs, leur art ne présente pas les difficultés du nôtre. Tout
homme qui a de l'imagination et qui sait sa langue se formera dans peu à écrire ; touthomme qui a quelque chose à dire le dira bien, peut-être mieux que le littérateur de pro-
fession, parce qu'il sera moins occupé de la forme et de la rhétorique de son discoursque du fond de la substance." (Delacroix, 1923: I, 73). Noch Anfang des 20. Jahrhun-
derts soll der Picasso-Freund und Begründer des Kubismus in Südamerika, Joaquim
Torres-García, in der Polemik „El literat i l'artista" (Erstdruck:
Empori [Barcelona], 2.
Jg., Nr. 12 [Juli 1908], 216f.; Wiederabdruck in: Torres-García [1989: 31f.]) das Argu-
ment der handwerklichen Verfasstheit der Malerei als Vorteil gegenüber der Literatur
und Philosophie preisen.
Ent-Setzte Lektüren: Antoni Tàpies'
Memòria personal
gende Text versteht sich als „Versuch über die literarischen Bildung eines
bildenden Künstlers am Ende der klassischen Avantgarden". Er will ver-
deutlichen, wie der Autor Tàpies als „Leser seiner selbst"9 in ähnlichhohem Maß fremdes Material absorbiert wie der bildende Künstler, der
fast systematisch die banalen Materialen unseres industriellen Alltags als
ästhetisches Material erforscht und damit in subtiler Weise die Kritik an
der Malerei als Nachahmung der Realität gegen deren Erfinder Platon wendet:
Els materials amb els quals treballen els artistes no es limiten a la pintura o el marbreper produir quadres o escultures. En el font tots som treballadors de la realitat. (Tàpies,
Zumal im katalanischen
modernisme findet sich im Schaffen Antoni
Gaudís, zu dem sich Tapies an mehreren Stellen bewundernd äußert, eines
der Vorbilder für diese Materialhybridie, die bei allen späteren Radikalisie-rungen zeitgleich mit Gaudís Arbeiten vor allem in den Forderungen der
Futuristen formuliert wurde:
[…] Quindi percependo i corpi e le loro parti come ZONE PLASTICHE, avremo in una
composizione scultoria futurista, piani de legni o di metallo, immobili o meccanica-mente mobili, per un oggetto, forme sferiche pelose per i capelli, semicerchi di vetro
per un vaso, filo di ferro e reticolati per un piano atmosferico, ecc. 4. Distruggere lanobilità tutta letteraria e tradizionale del marmo e del bronzo. Negare l'esclusività di una
materia per la intera costruzione d'un insieme scultorio. Afermare che anche venti ma-
teria diverse possono concorrere in una sola opera allo scopo dell'emozione plastica.
Ne enumeriamo alcune: vetro, legno, cartone, ferro, cemento, crine, cuoia, stoffa, spec-
chi, luce, elettrica, ecc. ecc. (Boccioni, 1912: 103f.)10
9 Proust (1954: III, 911): „En réalité, chaque lecteur est, quand il lit, le propre lecteur de
10 „Wenn wir also die Körper und ihre Teile als BILDNERISCHE ZONEN ansehen, werden
wir in einer futuristischen plastischen Komposition für einen Gegenstand Flächen aus
Holz oder Metall, die unbeweglich oder mechanisch beweglich sein können, behaarte,
kugelförmige Gebilde für die Haare, Halbkreise aus Glas für eine Vase, Eisendrähteund Drahtverhau für eine atmosphärische Ebene usw. verwenden. 4. Wir wollen die
rein literarische und traditionelle Vornehmheit des Marmors und der Bronze zerstören.
Wir lehnen die ausschließliche Verwendung eines einzigen Materials für die Gesamt-
gestaltung des plastischen Komplexes ab. Wir behaupten, dass auch zwanzig verschie-
dene Materialen in einem einzigen Werk zur Erreichung der bildnerischen Emotionverwendet werden können Wir zählen nur einige auf: Glas, Holz, Pappe, Eisen,
Zement, Rosshaar, Leder, Stoff, Spiegel, elektrisches Licht usw. usw." (Boccioni, 1972:
Dieser Materialbegriff trennt wie derjenige von Tàpies nicht mehr zwi-
schen den „klassischen" Werkstoffen und jenen, die in Dada und Surrea-
lismus die Grundlage der
objets trouvés bilden. Informationstheoretisch kor-respondiert diese Ausweitung des Materialbegriffs mit Marshall McLuhans
(1964) mittlerweile kaum noch provokanter Zuspitzung, das Medium sei
nicht Zeichenträger, sondern die künstlerische Botschaft selbst:
The artist does not conceive in general mental terms but in terms of concrete material,frequently very different from that of any other medium. (Wellek / Warren, 1963: 128)
Dass Tàpies in avancierter Form den Materialbegriff ausspekuliert,
mündet so in einer neuen Konzeption von Realismus, die das Problem der
Wahrheit der Malerei von der Mimesis abkoppelt, indem er Präsenzen von
Material an Stelle von Authentizität vorgestellter Realität hervorbringt. Das
seit Platon immer wieder aufgeworfene Kernproblem aller Kunst, inwie-
weit diese als eine der Wirklichkeit nachgeordnete Seinsweise überhaupt
mit der Erfahrungswirklichkeit korrespondiert, findet hier eine Antwort,die an die Bildauffassung der Ikonenmalerei anzuknüpfen scheint, um
diese durch den phänomenologischen Reichtum der Dingwelt zu über-
bieten. In seiner künstlerischen Produktion betreibt Tàpies demgemäß die
Errettung der äußeren Wirklichkeit durch Einschlüsse des Phänomenalen,
dessen Geschichtlichkeit im ästhetischen Werk noch durchscheint und so
Platons Kritik der künstlerischen Erfahrung aufnimmt, indem er die Ferne
zu den der Idee vorgelagerten Phänomenen eliminiert. Wird in zeitgenössi-
schen Lektüren des platonischen Wahrnehmungskonzepts der Begriff des„simulacrum" als einer Nachahmung ohne Vorlage (Jameson, 1986: 63)
formuliert, so erweist sich Tàpies' Schaffen spätestens seit den 1950er Jah-
ren unbetroffen, indem das Material selbst das Artefakt bildet und seine
Produktion damit über die Hierarchie von Imitat und Original stellt.
Schon in dem den Memoiren vorangestellten Zitat aus Shelleys „To a
Skylark" – „We look before and after, And pine for what is not" – ist die
Frage nach der Möglichkeit realer Präsenz des menschlichen Bewusstseins
in der Reflexion auf Vergangenes und Künftiges problematisiert. Und wieDraht, Gewebe, Seil, rostiges Metall, Beton, Gips, Sand oder Stein als der
realen Welt entzogene Phänomene in Tapies' Bildern auf die Dingwelt nur
noch zurückweisen, bezieht sich auch die Erfahrungswirklichkeit des
Künstlers auf ein Vorgängiges, das Literatur war und dem Künstler Mate-
Ent-Setzte Lektüren: Antoni Tàpies'
Memòria personal
Coneixia –només per citar uns exemples de textos autobiogràfics de pintors– fragmentsdel diari de Delacroix, alguns escrits de Gauguin, les cartes de Van Gogh, de Cézanne i,
en primer terme, el diari de Paul Klee, tots els quals m'havien estat utilíssims, molt mésque cap llibre teòric o d'estètica. I sovint pensava que potser arribaria un dia en què
també jo hauria de prestar aquest servei. Fins i tot potser amb un propòsit egoista, ja
que no solament contemplava el seu possible aspecte didàctic respecte a altres artistesmés joves, sinó perquè també em semblava que m'ajudaria a prendre consciència i a
orientar-me a mi mateix. (Tàpies, 1977: 13)
Bereits eine oberflächliche Sondierung suggeriert also: der Erfahrungs-
horizont des Avantgardisten Tàpies ist der Bildungshorizont des Lesers
Tàpies, imprägniert mit Briefen Van Goghs und Cézannes und den auto-biographischen Texten Delacroix', Gauguins und Klees, die ihrerseits auf-
gehoben sind im Bildungsfundus des späten 19. Jahrhunderts.
Angesichts der zahllosen Erwähnungen von literarischen und philo-
sophischen Werken – prozentual nehmen diese wesentlich größeren Raum
ein als Hinweise auf Musik und Malerei – verwundert es, dass bislang keine
Edition von Antoni Tàpies'
Memòria personal mit einem Verzeichnis der
Eigennamen aufwartet. Über Jahrzehnte hinweg war Antoni Tàpies näm-
lich ein passionierter Leser. Diese „lectures inacabables a tota hora"(Tàpies, 1977: 135), betreffen übrigens nicht nur hochwertige literarische
Texte („Dostoievski, Unamuno, Nietzsche, Poe o Oscar Wilde", Tàpies,
1977: 139), sondern selbst amerikanische Comics wie „Flash Gordon". Die
Ursache hierfür liegt in einer lange vor seiner „Berufung" zur bildenden
Kunst erfolgten, intensiven literarischen Vorprägung durch die vom Ur-
großvater begründete Buchhandlung Puig, die sich gegenüber der Kathe-
drale von Barcelona befand. Ferner hören wir, dass die Buchhandlung bis
in die Zeit des spanischen Bürgerkriegs auch Werke bedeutender Autoren(Pèrez Galdós, Pereda, Balaguer, Zorilla) im Eigenverlag veröffentlichte,
dass Tàpies' Vater nicht nur die Ausgaben sämtlicher spanischen Klassiker
besaß und besonders die 98er-Autoren schätzte (Tàpies 1977: 36f.). Neben
den „clàssics de tots els temps" (Tàpies, 1977: 153) las man im Hause
Tàpies „triats sense gaire criteri literari" auch die junge katalanische Lite-
ratur und der Vater rezitierte sogar eigene Verse bei Tisch (Tàpies 1977:
90f.). Das „Familienübel" der Lesewut setzte sich in der ersten Hochblüte
der katalanischen Literatur durch intensive Lektüren fort, was Tàpies nichtohne Ironie festhält:
[…] entraven a casa diverses revistes i piles de llibres catalans […]: la col∙lecció de grecs
i llatins de la Fundació Bernat Metge, ‚Els nostres Clàssics', la ‚Biblioteca Catalana', les
novel·les de la biblioteca ‚A tot vent', la col∙lecció ‚Univers', etc. que en anys successiusforen el meu mannà. (Tàpies, 1977: 86)
Bereits frühzeitig entwickelt Tàpies eigene Lektüremodi, die es ihm
ermöglichen, das Gelesene nicht bloß als „Bildung" zu akzeptieren, son-
dern auf höherer Ebene zu absorbieren oder dekonstruieren:
Lectura d'
Enric d'Ofterdingen,
ellac d'imen,
Tres titans,
La luita contra el dimóni… Miquel
Àngel, Beethoven, Rembrandt, Hölderlin, Kleist, Nietzsche,… Prestigi de la follia, pro-
funditat d'aquelles ments que em semblava que podien arribar a trencar el vel que enssepara de l'autentica veritat de les coses. […] Tenia la impressió que eren molt més im-
portants del que ens havien dit a l'escola. […] Aleshores, amb la meva intransigència,
trobava que tots els pensadors, per profunds i humanistes que fossin considerats, ja fosDescartes, Spinoza, Kant o Hegel, si parlaven de Déu eren per a mi uns estúpids i
retrògrades. ¿I com no m'ho havien de semblar als qui en parlaven en ple segle XX?(Tàpies, 1977: 152–153)
Die in dem obigen Abschnitt im Anschluss zitierten Autoren – Thomas
Mann, Alain Fournier, Margeret Kennedy, Dostojewski, Nietzsche,
Spengler, Ibsen – erweisen sich in ihrer ästhetischen Heterogenität als
Fragmente geschwundener geistiger Totalität, als zweite Ableitung europäi-
scher Ideengeschichte. Dieser antwortet Tàpies ironischerweise noch in
einer dritten Ableitung, indem er bei der Diskussion zum Zitat des Zitats
übergeht, etwa als er August Messers 1941 bei Espasa-Calpe in kastilischerÜbersetzung erschienene
Historia de la filosofía auswertet.
Auffällig ist, wie Literatur und Philosophie (anders als die bildende
Kunst, die Tàpies oft nur mit lapidaren Sätzen bedacht hat) über den Mo-
dus der Lektüre selbst zum Material wird, das ständig dazu inspiriert, sich
gegen „Kultur", „Bildung" oder „Tradition" dieser Kultur zu wenden.
Diese Form expliziter polemischer Intertextualität setzt sich in allen Peri-
oden des Werks fort.
2 Ent-Setzung der Realität in der Kunst
2.1 Subjekt / Person / Fragment
Bezeichnenderweise nennt Tàpies sein autobiographisches Werk
Memòria
personal im Untertitel „Fragment per a una autobiografia", womit einmal
das Resultat der Erinnerungsleistung
per se als Ver- oder gar Entstellung
lesbar wird, ist doch auch Tàpies nicht entgangen, dass mit „persona"ursprünglich die Maske des Schauspielers, mithin ein im Akt der Theatrali-
Ent-Setzte Lektüren: Antoni Tàpies'
Memòria personal
sierung hervorgebrachtes Resultat11 gemeint ist. In dem Essay „Personali-
tat, perennitat i joc" bekennt sich Tàpies entgegen allen postavantgardisti-
schen Theorien über Kollektivität und den Tod des Subjekts zu einem tra-ditionellen Subjektbegriff, dem durch ein Sokrateszitat („coneix-te a tu
mateix"; Tàpies, 1973: 67) das Konzept der „Person" als einer inszenatori-
schen Hervorbringung oder gar Verstellung korrespondiert. Keineswegs
entschärft wird die Problematik durch den Terminus der Selbst-Lebens-
beschreibung, der, wie zumal De Mans Überlegungen verdeutlichen, seit
der frühen Neuzeit auf die Verfestigung (γράφω = einritzen, ein
graben,
zeichnen, malen, vgl. Menge, 1913: 152) dessen abzielt, was nur im Fluss
erfahren wird. Nicht bloß „Understatement", sondern eher ironischeInfragestellung dessen, was da verfestigt werde, ist indes das Beharren auf
den Fragmentcharakter: „Que un fragment, un tors, per exemple, d'una
vella escultura, qui sap si moltes vegades no és fins i tot més estimulant que
tota una obra ‘closa'." (Tàpies, 1977: 15) Wenngleich selbst unter den gra-
phomanen Bedingungen eines Winston Churchill oder einer George Sand
das erschriebene Leben Fragment bleibt, so muss der explizite Hinweis auf
den vorgeblichen Fragmentarismus gerade im Kontext der Produktions-
ästhetik von Tàpies als Verfahren gesehen werden, den „Selektionsprozessaller Erinnerung und Überlieferung" (Fetscher, 2001: 552) evident zu ma-
chen. Beachtenswert ist in diesem Kontext die ausgesprochen hybride
Produktionsform der
Memòria personal, die keiner durchgängigen Stilistik
folgt, sondern geradezu schulmäßig mit den von Gérard Genette am Bei-
spiel von Prousts
Recherche entwickelten Kategorien („Pause", „Ellipse",
„Szene", „Dehnung", „Raffung") zu beschreiben wäre, wobei Tàpies gera-
de im zweiten Teil seines Werkes das Erzähltempo steigert, indem er teils
bloße Stichwortkataloge einbaut. Dieser m. E. planvolle Fragmentarismuszwingt den Leser zu einer veränderlichen Lektüre. Wenn sich aber in dem
Maße, in welchen sich Erzähler und Leser dem Zeitpunkt der Werkabfas-
sung nähern, Schreib- und Leseablauf dynamisieren und gleichzeitig unter-
brechen, wird die Verfahrensvarianz zur „epistemologischen Metapher"
(Eco, 1962: 159) für die Diskontinuität, die von der Ebene des Erzählens
auf die des Erzählten abzielt:
L'apertura, dal canto proprio, è garanzia di un tipo di fruizione particolarmente ricca e
sorprendente che la nostra civiltà va perseguendo come un valore tra i più preziosi,
11 Cf. Corominas (1967: 454):
persona <etrusk.
phersu = die Maske des Bühnendarstellers.
perché tutti i dati della nostra cultura ci inducono a concepire, sentire e quindi
vedere ilmondo secondo la categoria della possibilità. (Eco, 1962: 184; Kursive im Orig.)12
Will man Umberto Ecos Theorie des „offenen Kunstwerks" und insbe-
sondere des Werks als „metafora epistemologica" weiterdenken, so bietet
sich die folgende Hypothese für eine Lektüre der Fragmente und Hybri-
dien von
Memòria personal: Tàpies konzipiert seinen Text durch die Verfah-
rensvarianz als Reihe ästhetischer Möglichkeiten, die rückblickend jeneProduktionsweisen aktualisieren, welche der bildende Künstler zu dem
jeweiligen historischen Referenzmoment in seinem bildnerischen Werk
Tàpies bekennt sich bereits im Vorwort ausdrücklich zu einer Ecos
Ansatz verwandten Ästhetik, leitet diese jedoch aus der Tradition des Zen
Sembla que en això el destí em porti una vegada més a rendir culte a l'"obra aperta"; a
aquells dubtes, imperfeccions, impressions, efímeres i treballs inacabats o poc definits
que sempre m'han atret tant en la pintura, i que, com vaig aprendre d'algun altre mestreTx'an, són de vegades els que més inciten l'espectador a la participació en la tasca,
completant-la amb el seu propi esforç. (Tàpies, 1977: 16)
Auf der Werkebene erweist sich, wie weiter unten zu zeigen sein wird,
Memòria personal im Sinne seines Untertitels (oder gar seiner Gattungs-
bezeichnung?)
Fragments per a una autobiografia als „Wundertüte oder Rum-pelkammer voller zerstückelter Subsysteme, zusammengewürfeltem Roh-
material und Impulse aller Art" (Jameson, 1986: 75), das Lebensbeschrei-
bung nicht mehr unter der Kategorie historischer Vereinheitlichung fasst,
sondern als Konglomerat situativ bedingter Differenzierung:
Il
significato di un messaggio (ed è messaggio comunicativo anche la configurazione pit-torica che comunica appunto non riferimenti semantici ma una data somma di relazioni
12 „Die Offenheit ist ihrerseits Garantie für einen besonders reichhaltigen und über-
raschungsträchtigen Typ des ästhetischen Genießens, den unsere Kultur als einenhöchsten Wert anstrebt, weil alle Gegebenheiten dieser Kultur uns dazu führen, die
Welt gemäß der Kategorie Möglichkeit zu begreifen" (Eco, 1973: 185).
13 Bekanntlich wendet sich Umberto Eco in einem Kapitel seines Buches
Opera aperta aus-
drücklich gegen fernöstliche Philosophie als Inspirationsquelle europäischer zeitgenös-
sischer Kunst. Dass diese Polemik Tàpies zur Entstehungszeit der
Memòria personalbereits bekannt war, darf als sicher gelten, da die früheste kastilische Fassung,
Obra
abierta: forma e indeterminación en el arte contemporáneo, bereits 1965 bei Seix Barral erschie-
Ent-Setzte Lektüren: Antoni Tàpies'
Memòria personal
sintattiche percepibili tra i suoi elementi) si stabilisce in proporzione all'ordine, alla con-venzionalità e quindi alla "ridondanza" della struttura. Tanto più il significato è chiaro e
inequivocabile quanto più mi attengo a regole di probabilità, a leggi organizzative pre-fissate – e reiterate attraverso la ripetizione degli elementi prevedibili. Di converso,
quanto più la struttura si fa improbabile, ambigua, imprevedibile, disordinata, tanto più
aumenta l'
informazione. Informazione intesa quindi come possibilità informativa, incoati-vità di ordini possibili. (Eco, 1962: 167f.; Kursive im Orig.)14
Die Virtualität solcher Ordnungen in Tàpies' Autobiographie geht aus
der phänomenologischen Substanz der „Fragmente" hervor, die – ähnlich
den in seine Bildwerke inkorporierten Primärmaterialien – optische und
haptische Qualitäten in semiotische Qualitäten überführen. An die Stelle
von Sand, Stein, Hanf, Draht, Gips und Zement treten hier die zu Diskur-
sen verfestigten Bruchstücke der Weltliteratur.
2.2 Spuren-(Ver-)Suche
Antoni Tàpies hat, gleichsam entschuldigend, darauf aufmerksam gemacht,
dass er seine
Memòria personal nicht als autoritativen Metakommentar zu
seinem bildnerischen Schaffen verstanden wissen will (und es ist ein Pro-
blem der offiziellen Kunstwissenschaft, dass sie die literarischen Werke
bildender Künstler in erster Linie so lesen würde):
Per tot que he dit trobaria, doncs, lamentable, que especialment els comentaris que faig
sobre qüestions d'art, com altres vegades també he escrit, es prenguessin per quelcommés que un simple pensar en veu alta que anava improvisant a mesura que acomplia la
feina de pintor. (Tàpies, 1977: 16)
Auch die oben diskutierte Problematik autobiographischen Schreibens
als ein Text in der Kluft zwischen Ästhetik und Authentizität ist ihm nicht
verborgen geblieben. Denn gleich dem poetischen Schreiben ist auch die
Autobiographie der Prozesshaftigkeit unterworfen, die mit Unabgeschlos-senheit korrespondiert: „no es tracta […] d'una fotografia morta de la
meva vida, sinó d'un tros d'ella" (Tàpies, 1977: 15).
14 „Die Bedeutung ist umso klarer und eindeutiger, je mehr ich mich an Wahrscheinlich-
keitsregeln und an Organisationsgesetze halte, die vorher festgelegt sind – und durch
Wiederholung der vorhersehbaren Elemente bekräftigt werden. Umgekehrt, je mehr dieStruktur unwahrscheinlich, mehrdeutig, unvorhersehbar, ungeordnet wird, desto mehr
nimmt die Information zu. Information wird hier also als […] Virtualität möglicher
Ordnungen verstanden." (Eco, 1973: 168)
Als „Memòria" ent-setzt das Werk womöglich bereits das Leben medi-
al, unterliegt doch Erinnerung kreativen Deformationen, die die Psycho-
analyse unter dem Blickwinkel einer traumanalogen Verarbeitung durchTermini wie Verdichtung, Entstellung, Verschiebung und Spaltung
beschrieben hat. Tatsächlich operiert Antoni Tàpies mit einem Verfahren,
das ich als Ent-setzung des Faktischen bezeichnen möchte, in dem an
markanten Positionen seines Lebens Literatur – als Genre, Diskurs oder
auch Zitat – eine uneinholbare Realität substituiert. So führt ihn die Spu-
rensuche der eigenen Herkunft nach Südwestfrankreich in das Umfeld von
Henri de Toulouse-Lautrecs Familienzweig mütterlicherseits und zu Mi-
chel Tapié de Celeyrant, von dem wiederum der mit Tàpies befreundeteKunsttheoretiker und Jazzmusiker Michel Tapié abstammte, dessen
Arbeiten er in einem späteren Abschnitt der Autobiographie auch zitiert.
Wenngleich Tàpies auf den tatsächlichen Familienstammbaum verweist,
gibt es keine greifbaren Anzeichen einer Verwandtschaft mit den in Albi
und Toulouse ansässigen Familien, da der Stammbaum der Tàpies bis in
die frühe Neuzeit ausschließlich Verwandte auf der spanischen Seite der
Die Kunstwissenschaftler Ernst Kris und Otto Kurz haben in ihrer
bereits 1934 veröffentlichten Arbeit
Die Legende vom Künstler eindruckvoll
belegt, wie es in der frühen Neuzeit zu einer Anlagerung der gerade erst
entstehenden Künstlerbiographien an die ältere Hagiographie kam, deren
Legendenbildung spätestens in den Künstlerviten Giorgio Vasaris eine
Mythologie der Kunsthelden hervorgebracht hat, in deren Verlauf religiöse
Anekdoten und literarische Novellistik die biographische Fakten überblen-
den (Kris / Kurz, 1979). Abstammung, Jugend und Alltagsleben folgen
fortan stereotypen Abläufen, die Künstlerviten zu einer Komplementär-erscheinung der Heiligenleben und der frühen Romanliteratur machen.
Zumal die Endeckung des Talents und die Mythifikation der Berufung
deuten auf das heiligmäßige Substrat zurück, das auch Tàpies' erstem
Kapitel zugrunde liegt. Als „Installationsakt religiös schöpferischer Per-
sönlichkeiten" (Mensching, 1957: 1084) mit präzisen theologischen Impli-
kationen ausgestattet, zielt schließlich der von Tàpies' leitmotivisch ver-
wendete Terminus ‚Berufung' („vocació") auf das Konzept des „ordo
salutis" ab , über den sich der Heilige in der „imitatio Christi" etabliert.
Freilich vermittelt Tàpies diese Attribuierung heiligmäßiger Qualitäten
bereits dadurch ironisch, dass er sie im Rahmen seiner Familiengeschichte
genetisch unterlegt. So finden sich unter den Verwandten kontinuierlich
Pfarrer und Ordensmänner, und wenngleich Tàpies nicht ohne Ironie auf
Ent-Setzte Lektüren: Antoni Tàpies'
Memòria personal
die „abundants inclinacions eclesiàstiques familiars" (Tàpies, 1977: 23)
verweist und darüber reflektiert, ob die hobbymäßige Tätigkeit seine Tante
als Kunstmalerin und die von ihr ererbten Bilder und Malutensilien „unacerta influència sobre la meva vocació" (Tàpies 1997: 45) ausgeübt hätten,
wird die hier suggerierte „genetische Spur" von Kunst einerseits und Spi-
ritualität andererseits im Rahmen der „Legende vom Künstler" (Kris /
Kurz, 1980) Material, das im Modus der Autobiographischen Selbstdeu-
tung zum säkularisierten Heiligenleben verfremdet wird.
Indem Tàpies der Makrostruktur seiner
Memòria personal den Diskurs
der Künstlervita einbeschreibt, greift er aber auch auf jene Modi der früh-
christlichen Literatur zu, die am Beginn der Moderne in die mythischeRede über den Avantgardekünstler überführt werden, wie sie zuletzt
Donald Kuspit (1995) unter psychoanalytischem Blickwinkel zu systemati-
sieren versucht hat. Der ursprünglich dem Heiligenleben inhärente, seit der
Romantik propagierte Gestus lebensweltlicher Verweigerung im Dienste
eines transzendent begründeten Opfers kulminiert demnach in einem Stre-
ben nach Authentizität. Diese äußert sich bald als Spaltung von innerer
und äußerer Wirklichkeit, bald als provokative Stiftung einer ästhetischen
Gegenwelt und dem Hervorkehren vermeintlich dämonisierter, der darausherrührenden Behauptung des künstlerischen Selbst durch die professio-
nelle Ummünzung gesellschaftlicher Entfremdung in eine unverwechsel-
bare Stilistik, bald als Hervorbringung von Ästhetik aus den subjektiven
Ressourcen einer narzisstischen Kränkung auf der Basis bislang verachteter
Möglichkeiten aus den Bereichen Material und Verfahren. Tàpies
Memòria
personal scheint der nachgerade idealtypische Beleg hierfür, produziert das
Werk doch den Avantgarde-Heroen Tàpies erst in einer literarischen Mo-
dalität, die man in Anschluss an Kuspit (1995: 135) als „Charisma desZynismus" bezeichnen möchte.
2.3 Kommunikation mit der Wand
Im Folgenden geht es darum zu zeigen, wie auf der Ebene einzelner Epi-
soden Literatur absorbiert wird. Einer der meist zitierten Essays von
Tàpies ist zweifellos „Comunicació sobre el mur" (1969), in dem der
Künstler sich nicht nur deutlich auf seine Anregungen aus der Zenphilo-sophie bezieht, sondern auch damit die oben dargestellte Modalität ästheti-
scher „Offenheit" verteidigt. Auch in
Memòria personal findet sich eine
Epi-
sode, die verdeutlicht, wie jene Imaginationspotentiale, die später die Mau-
erbilder im Betrachter auslösen sollen, im Blick des Künstlers aus vorge-
fundenem Material der Steine und Wände Barcelonas hervorgehen:
les narracions dels avantpassats o llegits en les pàgines de la nostra història i que les
cicatrius de les pedres d'aquells carrerons mantenen vius per a mi. (Tàpies, 1977: 46)
Der Versuch, geschwundene Totalität aus fragmentarischer Wahrneh-
mung durch eine Spurensuche zu evozieren, führt einerseits zurück ins
späte 19. Jahrhundert, wo Kunstwissenschaft, Archäologie und Krimina-listik (Ginzburg, 1979) aus Wahrnehmungsfragmenten Wirklichkeit zu
rekonstruieren versuchen, andererseits zu deren eindrucksvoller künstleri-
scher Synthese im Spätwerk Marcel Prousts. In einer zentralen Episode
von
À la recherche du temps perdu dienen die Niveauunterschiede der Pflaster-
steine im Hof des Hôtel de Guermantes als Reizauslöser einer Anamnese,
die den Erzähler nach Venedig zurückversetzt. Unterlegt ist der Episode
eine Komplementärerscheinung jenes „appel de joie", der Glücksverhei-
ßung im Augenblick ästhetischer Wahrnehmung: „Sais-moi au passage si tuen as la force, et tâche à résoudre l'énigme de bonheur que je te propose."
(Proust, 1954: III, 867) Bereits früher, nämlich in
La prisonnière beschreibt
Proust den Schriftsteller Bergotte beim Betrachten eines – nun allerdings
künstlerisch definiten – Mauerstückes, nämlich eines von Jan Vermeer van
Delft gemalten „Petit pan de mur jaune", dessen Betrachtung den Dichter
Bergotte in solche Begeisterung versetzt, dass er noch im Todeskampf
beständig an das Mauerstück denkt (Proust, 1954: III, 187). Allerdings ist
nicht erst bei Tàpies, sondern bereits bei Proust die Reflexion über dieMauer zum
locus communis geworden. Hatte doch bereits Leonardo da Vinci
in Replik auf Botticellis Geringschätzung der Landschaftsmalerei eine
Mauer zum Inspirationsmoment erklärt:
Nō resterò però di mettere ītra questi precietti una nova īvētione di speculazione, laquale bēchè paia piccola e quasi degnia di riso nōdimeno è di grāde vtilità a destrare lo
ingegno y varie invētioi, e questa è se tu riguarderai in alcuni mvri inbrattati di uarie ma-
chie o pietre di uari misti, se avrai a īuentionare qualche sito potrai lì uedere similitudinedi diuersi paesi, ornati di mōtagnie, fiumi, sassi, albori, pianvre, grāvalli e colli in diversi
modi, ancora vi potrai vedere diuerse battaglie e atti prōti di figure, strane arie die uolti
e abiti e infinite cose, le quali potrai ridurre in ītegra e bona forma, e īterviene īsimilimvri e misti come del suono di cāpane che ne' loro torchi vi troverai ogni nome e
vocabolo che tu īmaginerai. (Da Vinci, 1883: I, 254)15
15 „Wenn du eine Mauer betrachtest, die mit Flecken übersät ist oder mit Steinen ver-
schiedener Art, und wenn du eine Landschaft ersinnen sollst, dann wirst du dort Bilder
Ent-Setzte Lektüren: Antoni Tàpies'
Memòria personal
Die Bildvorstellung der „idea" manifestiert sich kraft Fantasie und
Ingenium als „Welt der gesteigerten Wirklichkeit" (Panofsky, 1959: 36).
Leonardo fasst damit Mimesis nicht mehr lediglich als Abbild äußerer Rea-lität, sondern als kraft der Seele extrahierten Effekt innerer Vorstellungs-
bilder (φαντάσματα), die laut Aristoteles dem menschlichen Denken inhä-
rent seien. Im – erst nach Leonardos Tod aus nachgelassenen Schriften
durch dessen Schüler Francesco Melzi zusammengestellten –
Trattato de la
pittura (Ms. Vat. 1270) bezieht sich Leonardo ebenfalls auf die Wand als
Quello non sarà universale che non ama egualmente tutte le cose che si contengono
nella pittura; come se uno non gli piace i paesi, esso stima quelli esser cosa di breve e
semplice investigazione, come disse il nostro Botticella [sic!], che tale studio era vano,perché col solo gettare di una spugna piena di diversi colori in un muro, essa lascia in
esso muro una macchia, dove si vede un bel paese. Egli è ben vero che in tale macchia
si vedono varie invenzioni di ciò che l'uomo vuole cercare in quella, cioè teste d'uomini,diversi animali, battaglie, scogli, mari, nuvoli e boschi ed altre simili cose; e fa come il
suono delle campane, nelle quali si può intendere quelle dire quel che a te pare. (DaVinci, 1924: 52)
Botticellis geringschätziger Vergleich der Landschaftsmalerei mit einer
mit einem farbgetränkten Schwamm beworfenen Wand wendet Leonardo
gegen diesen und münzt ihn zur schlechthinnigen Inspirationstheorie um.
Mit der Aufwertung sowohl der im Alltäglichen wurzelnden imaginierten
Bilder wie der diese befördernden Technik steht Leonardos Auffassung
bereits an der Schwelle zur surrealistischen Inspirationslehre und deren
poetologischen Konstrukt des surrealistischen „merveilleux". Zumal dervon Tàpies hoch geschätzte Max Ernst wird sich auf die oben zitierte Pas-
sage aus Leonardos Rezepten für Maler zurückbeziehen. Tatsächlich findet
sich nämlich in der surrealistischen Poetologie
Au delà de la peinture (1937)
der explizite Verweis auf Botticellis (wenn ich recht sehe: nur bei Leonardo
belegtes) Verdikt der Landschaftsmalerei. Und wiederum wird aus der
Banalität eines automatisierten Alltäglichen die inspirative Kraft für einen
gewandelten Wahrnehmungsmodus, der im Kontext der neuentwickelten
unterschiedlicher Landschaften entdecken, geschmückt mit Bergen, Flüssen, Felsen,Bäumen, Ebenen, weiten Tälern und Hügeln mannigfaltiger Art. Du kannst dort eben-
falls Schlachten und Figuren mit lebhaften Gesten sehen, sonderbare Gesichter und
Gewänder und unzählige Dinge, welche du auf vollendete und gute Formen reduzierenkannst. Und diese erscheinen auf solchen Mauern undeutlich, ähnlich dem Klang von
Glocken, in deren Läuten du jeden Namen oder jedes Wort findest, das du dir vor-
stellst." (Da Vinci, 2005: 37)
Technik der Reibebilder („Decalcomanie") zu sehen ist und eine mehr-
fache ästhetikgeschichtliche Perspektive auf das Inzitationsmotiv der
Wand ermöglich. Max Ernst verbirgt das Verfahren der Decalcomanie ineinem autobiographischen Dreiphasenmodell: eine Kindheitserinnerung
Ernsts („De 5 à 7 ans", Ernst, 1970: 237), wiederum die aus Leonardos
Traktat übernommene Botticelli-Episode (Ernst, 1970: 241f.) und die von
„Dada-Max" mehrmals als Schlüsselepisode der Freisetzung seines Blicks
auf die äußere Wirklichkeit angesichts einer schlichten Holzmaserung
fügen sich zu einer die surrealistische Produktionsästhetik emphatisch
inszenierenden Einheit aus subjektiver Biographie und individueller
Selbsteinschreibung in die Kunstgeschichte:
Je vois en face un panneau grossièrement peint aux larges traits noirs sur fond rouge,
représentant un faux acajou et provoquant des associations de formes organiques (œilmenaçant, long nez, grosse tête d'oiseau à épaisse chevelure noire, etc. (Ernst, 1970:
[.] le 10 août, une insupportable obsession visuelle me fit découvrir les moyens techni-ques qui m'ont permis une très large mise en pratique de cette leçon de Léonard. Par-
tant d'un souvenir d'enfance (relaté plus haut) au cours duquel un panneau de faux
acajou, situé en face de mon lit, avait joué le rôle de provocateur optique d'une visionde demi-sommeil, et me trouvant, par un temps de pluie, dans une auberge au bord de
la mer, je fus frappé par l'obsession qu'exerçait sur mon regard irrité le plancher, dontmille lavages avaient accentué les rainures. Je me décidai alors à interroger le symbo-
lisme de cette obsession et, pour venir en aide à mes facultés méditatives et hallucina-
toires, je tirai des planches une série de dessins, en posant sur elles, au hasard, desfeuilles de papier que j'entrepris de frotter à la mine de plomb. En regardant attentive-
ment les dessins ainsi obtenus, les parties sombres et les autres de douce pénombre, je
fus surpris de l'intensification subite de mes facultés visionnaires et de la successionhallucinante d'images contradictoires, se superposant les unes aux autres avec la persis-
tance et la rapidité qui sont le propre des souvenirs amoureux. Ma curiosité éveillée etémerveillée, j'en vins à interroger indifféremment, en utilisant pour cela le même
moyen, toutes sortes de matières pouvant se trouver dans mon champ visuel : des
feuilles et leurs nervures, les bords effilochés d'une toile de sac, les coups de pinceaud'une peinture « moderne », un fil déroulé de bobine, etc., etc. Mes yeux ont vu alors
des têtes humaines, divers animaux, une bataille qui finit en baiser
(la fiancée du vent), des
rochers, la mer et la pluie, des tremblements de terre [.]. (Ernst, 1970: 242f.)
Auch Salvador Dalís etwa zeitgleich entwickelte Poetologie der „para-
noisch-kritischen Methode" (Dalí, 1972), über die sich Tàpies („uns escrits
realment delirants", Tàpies, 1977: 93) lustig macht, und Man Rays in des-
sen Autobiographie eingehend beschriebene zufällig entdeckte Technik der
Rayographie (Man Ray, 1963: 121–126) operiert mit dem von Leonardo
auf den Weg gebrachten Imaginationsbegriff, dem sich letztlich Dalís
Ent-Setzte Lektüren: Antoni Tàpies'
Memòria personal
„Doppelbilder" und seine „surrealisierten" Paraphrasen der Kunst-
geschichte in den dreißiger Jahren verdanken. Während Tàpies die Bedeu-
tung der Mauern von Barcelona in
Memòria personal bloß kurz streift, betonter in dem genannten Essay in ähnlicher Weise wie Proust und Leonardo
das imaginative Potential:
Perquè aquest és únicament un suport que convida el contemplador a participar en el
joc molt més ampli de les mil i una visions i sentiments: el talismà que aixeca o esfondraels murs en racons més profunds del nostre esperit, que obre i tanca de vegades les
portes i les finestres en les construccions de la nostra impotència, del nostre esclavatgeo de la nostra llibertat. L'"assumpte" pot trobar-se, doncs, en el quadre o pot ser úni-
cament al cap de l'espectador. (Tàpies, 1969: 46)
Auch die explizite Anspielung auf die altarabische Sammlung
1001
Nacht ist keineswegs willkürlich, bezieht sich doch Marcel Proust in der
oben zitierten Episode der Pflastersteine im Palais Guermantes ausdrück-
lich auf dieses Werk (Proust, 1954: III, 868),16 das Tàpies hier mit demMotiv der Magie („el talismà que aixeca o esfondra els murs en racons més
profunds del nostre esperit"), also wiederum mit imaginativen Potentialen
in Verbindung bringt. In dem so gestifteten Zusammenhang zwischen
Tàpies' postsurrealistischer Kunst der Materialbilder und dem vormoder-
nen Gründungstext abendländischer Imagination kommt den in der Lite-
ratur immer wieder beschworenen Steinen Barcelonas also nur vorder-
gründig eine Funktion als historiographisches Anschauungsmaterial, näm-
lich als Beleg der geschwundene Totalität einer somit nicht mehr einhol-baren Geschichte, zu. Vielmehr figurieren diese
objets trouvés von Tàpies'
kultureller Empirie wie Leonardos Wand, Prousts Steinplatten und die Ma-
serung des Parketts bei Max Ernst im Arsenal der Inzitationsmedien einer
subjektiven Wahrnehmung, die ursprüngliche kunstgeschichtliche Funk-
tionen umwertet und damit – in ähnlicher Weise, wie Mallarmé und Valéry
am Beispiel des Körpers der Tänzerin die hieroglyphische Einheit von
Zeichenkörper und Zeicheninhalt postulierten (Mallarmé, 2003: II, 170–
178; Valéry, 1960: II, 1169–1173) – den Bildträger zum Bild erhebt.
16 Zur poetologischen Dimension von
1001 Nacht bei Proust vgl. Roloff (1984, 214–222),
zur Arabesken-Poetik bei Proust vgl. Roloff (2010) und zu
1001 Nacht Roloff (1984)
und Mosebach (1999).
2.4 Schau-Spiele zwischen Paris und Barcelona
Das Motiv der Erzeugung einer zweiten Wirklichkeit durch die Macht der
Kunst führt nicht nur wie bei Leonardo, Proust und Max Ernst zu einer
Produktionspoetik der Mauer. Es stellt vielmehr ein rekurrentes Element
in Tàpies' Erinnerungen dar. Bemerkenswert oft werden in den frühen
Abschnitten der Autobiographie halluzinatorische Erlebnisse beschrieben,
die teils durch Krankheit oder Medikamente (Tàpies, 1977: 78), durch
übersteigerte Imagination (ebd.: 62), seltener durch mechanische Manipu-
lation wie im Falle der Beschreibung einer Zauberaufführung (ebd.: 64)hervorgerufen sind. Doch gerade das Nachdenken über optische Manipu-
lation und infantiler Perzeption geht kurz nach diesen eher dramatisch
geschilderten Halluzinationsszenen in der subtilen Infragestellung pseudo-
romantisch-bourgeoiser Wahrnehmungsweisen auf, wenn Tàpies die Kritik
seines Vaters an seinen ersten Malversuchen beschreibt:
„Escolta, en comptes de pintar aquestes ximpleries tan poc serioses, a veure si seriescapaç de fer-me un tema humà com el següent: un grup de nens amb caretes angelicals
que miren un teatre de titelles i el seu pare des de l'escenari que mou els ninots i quetreu el cap pel costat per contemplar les reaccions dels seus fillets estimats" [.] (Tàpies,
Die Kommentarlosigkeit der Passage zeugt
per se bereits von ihrer
Kommentarbedürftigkeit. Vater Tàpies kritisiert die avantgardistischen
Aspirationen des Sohnes als Dilettantismus, dem er ein Idealbild von Male-
rei entgegenstellt. Dieses Wunschbild weist in seiner Naivität zurück aufden spanischen Costumbrismus. Die vom Vater entworfene Szenerie zielt
dabei mit einer konventionalisierten Theatralik auf eine ebenso konventio-
nell gedachte Faszination ab, der durch das Kasperletheater manipulierten
kindlichen Schaulust. Auch dieser Episode ist eine Schlüsselszene der Lite-
ratur des 20. Jahrhunderts einbeschrieben, nämlich die Episode der „Lan-
terne Magique" aus Prousts
À la recherche du temps perdu. Die Szene ist nicht
frei von Pathos und dient bei Marcel Proust bekanntlich dazu,17 den Pro-
jektionsapparat im großbürgerlichen Ambiente als Objekt kindlicherSchaulust zu inszenieren. Doch im Rahmen von Prousts ästhetischer
Theorie wird das optische Artefakt zum Medium vormoderner
curiositas,
die Kinderstube des proustschen Erzählers zur infantilen Wunderkam-
17 Cf. Wild (1993; 2003).
Ent-Setzte Lektüren: Antoni Tàpies'
Memòria personal
mer.18 Im Combray-Teil des Proustschen Romanwerks ist die primäre
Funktion des Projektionsmediums, die durch Schaulust beförderte Imagi-
nation in Bewegung zu setzen. Die Laterna Magica wird so zur zentralenpoetologischen Metapher für den anthropologischen Zusammenhang zwi-
schen der Ursprünglichkeit kindlicher Schau und einer künstlerischen
Schöpfung, welche die Uneinholbarkeit primärer Erfahrung unaufhörlich
vor sich hertreibt. Demgegenüber geht Tàpies, der zuvor immer wieder die
Spannung zu den Ansichten seines Vater betont hat („tot definint ben bé
els seus ideals", Tàpies, 1977: 92), zu der an Kitsch gemahnenden Genre-
szene der im Puppentheater ästhetisch manipulierten Kinder auf Distanz,
um unmittelbar im Anschluss sein eigenständiges, nun allerdings durch bil-dende Kunst begründetes Konzept ästhetischer Imagination zu entwickeln.
Wieder geht es um ein thaumaturgisches Moment, nämlich die bis auf die
Antike zurückreichende Tradition der unbedingten Faszinationskraft eines
bildnerisch Schönen, das – wie in weiteren Proust-Episoden – der Wirk-
lichkeitsschau einen neuen Raum eröffnet. Bekanntlich finden sich in
Prousts Roman mehrere Episoden, in denen die reale Präsenz von teils
imaginären, teil realen Kunstwerken – in Privatsammlungen und öffent-
lichen Museen – zum Anlass von ästhetischen Reflexionen werden. Andersals bei Proust, der noch in der Tradition Baudelaires die Photographie von
Kunstwerken aufgrund des Verlusts ihrer Aura kritisiert (Benjamin, 1936;
Wild, 2003), vollzieht sich bei Antoni Tàpies die wohl folgenreichste Epi-
sode primärer Erfahrung des Kunstschönen – unmittelbar im Anschluss
an das oben zitierte Streitgespräch mit dem Vater – nicht durch unmittel-
bare Anschauung im Museum, sondern medial entauratisiert durch Repro-
duktionen einer Zeitschrift, der Sondernummer der von Josep Luís Sert
und Joan Prats konzipierten
D'ací i allà:19
Però encara més a través d'aquell famós número extraordinari de Nadal del 1934, del
D'ací i allà, dedicat a l'art del segle XX. Res no hi va haver de semblant, que si bé demoment em va desconcertar totalment, a la llarga em trastornés tant ni que tingués
tanta repercussió en la meva vida. (Tàpies, 1977: 93)
18 Cf. Wild (2006).
19 „Número extraordinari de Nadal dedicat a l'art del Segle XX", Jg. 22, N. 179; kann unter
im Netz aufgerufen werden. Das Heft bleibt innerhalb der bis zum Ausbruch des Bür-gerkriegs erschienenen 185 Nummern singulär durch die Auswahl avantgardistischen
Materials. Tàpies betont, dass es nur von „una minoria insignificant" (Tàpies, 1977: 94)
zur Kenntnis genommen wurde.
Wie in jenen zahlreichen anderen Passagen, die für manche Leser
Prousts
Recherche zu einem Kompendium der Kunsttheorie macht, korres-
pondiert auch bei Tàpies die Wahrnehmung des Kunstschönen mit einerMediatisierung von Präsenz. Doch obgleich sich die Zeitschriftennummer
„technischer Reproduzierbarkeit" verdankt, sträubt sie sich gegen die einst
von Walter Benjamin beklagte Entauratisierung:
Aquest número del
D'ací i d'al à m'ha acompanyat tota la vida i encara el tinc al meucostat, ara dedicat pels seus autors. (Tàpies, 1977: 93)
Tàpies macht sich zwar in dem folgenden Abschnitt auch über die
Auswüchse der Avantgarden lustig, namentlich über Dalís Aufsatz über die
kritisch-paranoische Methode, doch durchziehen die folgenden Passagen
Metaphern des Staunens,20 hervorgebracht durch den Dialog mit den
Reproduktionen von Werken Mirós („una bellesa i una vitalitat brutal"21),
Arps („una estranyíssima impressió"), Braques („que em desconcertava
amb aquella ambigüitat"), Max Ernsts („la màgia") und anderer Heroen derklassischen Avantgarden.
2.5 Halluzinogene Lektüren
Die zeitliche Distanz zwischen erlebendem und berichtendem Narrations-
subjekt hat zumal in der pikaresken Literatur zu einer ironischen Spaltung
von Information und Aussagemodalität geführt, die auch in Antoni Tàpies'
Memoirenwerk immer wieder zu Differenzeffekten führt. Insbesondere dieindividuelle Aktivität des jugendlichen Erzählers als Leser ist von solchen
Spannungen im ersten Teil der Autobiographie immer wieder betroffen.
Am Beginn von Marcel Prousts
Recherche erscheint die identifikatorische
Lektüre – zumal George Sands
François le Champi,
1001 Nacht und Maeter-
lincks
Pelléas et Mélisande – als primäre Erfahrung, die aus dem retrospekti-
ven Blickwinkel vergangener Subjektkonstitution als uneinholbar betrauert,
aber zugleich als vor der Erkenntnis individueller Subjekt-Objektspannung
liegende Illusion ironisiert wird:
Die Täuschung des Kindes liegt […] darin, daß es die Bedingungen der Literarischen
Illusionsbildung und damit das Prinzip der Lektüre nicht zu durchschauen vermag. Eshandelt sich um eine Form der naiven Lektüre, die man mit K. Stierle als „quasiprag-
20 Zur Theorie des Staunens in Kunst und Literatur vgl. Wild (2006).
21 Diese und die folgenden Belege: Tàpies (1977: 93f.).
Ent-Setzte Lektüren: Antoni Tàpies'
Memòria personal
matische Rezeption" kennzeichnen kann. […] In dieser Proustschen Abwandlung destraditionellen Motivs der Lektüre-Illusionen geht es darum, einerseits die Naivität dieser
Lektüre als eine Form der ursprünglichen ästhetischen Erfahrung und als „acte psy-chologique" genauer zu erfassen und in ihrer großen Tragweite für die Entwicklung
und Realitätserfahrung des Protagonisten aufzuzeigen – und damit schließlich als Rea-
litätserfahrung des Protagonisten aufzuzeigen […] (Roloff, 1984: 171)
Bei Tàpies zeichnet sich der thematische Komplex der Lektüre-Illusion,
der uns im Folgenden vor allem beschäftigen wird, durch offenkundige
Infragestellung oder aber durch die Massierung von Identifikationspoten-
tialen aus, die per se ironieverdächtig sind:
He de reconèixer que per aquella època –tenia quinze anys– jo sentia confusament lanecessitat d'alguna cosa més ideal en les relacions entre noi i noia. Això m'estimulava la
lectura dels sublimes amors de Vinici i Lígia d'aquell
Quo vadis? que durant tant de
temps va estar al costat del meu llit, o de Romeo i Julieta o d'Atala i René o d'aquellaMaria, novel·la de Jorge Isaacs, que el meu pare recomanava amb entusiasme. (Tàpies,
Chateaubriands Indianerepos
Les Natchez und Sienkiewiczs
Quo vadis,
zählen zu den „pillow books" des jungen Tàpies, weshalb selbst die Nen-
nung von Shakespeares
Romeo and Juliet den Schluss zulässt, das Werk seioffenbar in ähnlicher Weise identifikatorisch, nämlich als bürgerliches
Rührstück, aufgenommen worden. Als ironische Klimax dieser Pubertäts-
lektüren nennt Antoni Tàpies bezeichnenderweise Jorge Isaacs larmoyan-
ten Roman
María (1864) mit dem Hinweis, es habe sich um eine Empfeh-
lung seine Vaters gehandelt. Da dieser ja in ästhetischen Fragen bislang
stets als der problematische Widerpart des jugendlichen Avantgardisten
erschien, ist hinsichtlich der Authentizität des erinnernden Antoni Tàpies
Misstrauen angebracht. Ironieverdächtig ist die Passage also nicht wegendes Verweises auf die Literatur, zumal deren Infragestellung als Lebens-
hilfe in der spanischen Kultur von Cervantes bis zu den 98er-Autoren
Tradition hat, sondern wegen des traditionalistischen Vaters, der im Laufe
der bisherigen Lektüre keineswegs als Wertinstanz in künstlerischen Fra-
gen taugte, sondern die bildungsbürgerlichen Aspirationen der katalani-
schen Bourgeoisie vor dem Bürgerkrieg repräsentierte.
Wie bei Proust (sowie bei Flaubert und dessen Vorbild Cervantes) steht
im Zentrum der Normagitation die Frage nach der zweiten Wirklichkeitder Literatur als einem Realitätssurrogat, das auf seinen „sensus moralis"
befragt wird, um dem Jugendlichen eine Standortbestimmung in Irrungen
und Wirrungen einer Jugend im Bürgerkrieg zu ermöglichen. Wie im
Don
Quijote wird in Tàpies'
Memòria personal Literatur, genauer: ihre (fragwür-
dige) Rezeption als Lebenshilfe, zum Material, das im ästhetischen
Gesamtkomplex des eigenen Werks musealisiert wird. Auffällig ist dabei,dass der Themenkomplex der ästhetischen Rezeption bei Tàpies ähnlich
wie bei Flaubert, Huysmans, Eça de Queiroz, Thomas Mann, Proust und
noch in Sartres
Les mots die Modalität romantischer Subjektkonstitution
Plató, amb el seu mite de la caverna i tot són ombres de la autèntica realitat; i sobretotl'escepticisme de Berkeley i Hume, els quals, estudiats d'aquella manera elemental, sem-
blaven demostrar-nos que les coses poden ser només una representació dintre nostre i
no tenen existència corporal; també Kant quan diu que fins l'espai i el temps són meresrepresentacions. Això últim em va trasbalsar molt i em desvetllava unes interessants
visions per tal d'imaginar-me la realitat, visions que jo comparava a vegades amb les quehavia tingut en les nits de febre. (Tàpies, 1977: 132)
Wurde in dem Zitat über die identifikatorischen Lektüren die Gestalt
des konservativen Vaters, vom Rande her die Einsinnigkeit erlesener
Wirklichkeit in Frage gestellt, so erfolgt auch bei der Diskussion des Idea-
lismus die Distanzierung durch den Verweis auf die halluzinatorischen
Erlebnisse der „nits de febre", also von einer Peripherie, die das darge-
stellte Material in die Modalität des Unbestimmten (Todorov, 1970) rückt.
Überdies fügt sich in die Reihe dieser parareligiösen Rezeptionserleb-
nisse das unter anderem bei E.T.A. Hoffmann als Gefährdung des Indivi-
duums dargestellte Phänomen identifikatorischer Musikrezeption, das, aus-
gehend von Baudelaires Aufwertung der Musik zum künstlichen Paradies
in dem Sonett „La Musique", zumal in Huysmans'
À rebours und beim
späten Proust problematisiert wird:
Tinc molts records de aquells temps febrosos, de tantes estranyes exaltacions i tristeses,pors i de dubtes. [.] Moments de desesperança amb el musical de l'
Idil·li de Sígfrid, del
Don Juan de Strauss, de la setenta simfonia de Beethoven. Moments d'unió mística ambel
Concert en fa per a clavecí, Suite en re de Bach i sobretot els "Encants del Divendres Sant"
del
Parsival. (Tàpies, 1977: 139)
Zwar ist dieser (wie einigen vergleichbaren) Episode eine mediale Dis-
tanzierung unterlegt, da Tàpies in diesem Lebensabschnitt musikalische
Werke stets nur auf (vermutlich verrauschten) Grammophonplatten hört.
Doch wie bei Hoffmann, Baudelaire und noch Proust übernimmt die Mu-sik in diesem Lebensabschnitt sehr viel stärker als Literatur und Philo-
sophie eine Aufgabe als Katalysator und Remedium des durch die eigenen
Ent-Setzte Lektüren: Antoni Tàpies'
Memòria personal
Emotionen bedrohten Subjekts. Erst im zweiten Teil der Autobiographie –
nach erfolgter „Berufung" – erscheint Tàpies' Musikerleben wesentlich un-
emphatischer: die Erfahrung avantgardistischer Musik (Stravinski, Schön-berg, Varèse) korrespondiert in Tàpies' Aufzeichnungen nicht nur mit sei-
ner künstlerischen Entwicklung, sondern spiegelt später durch die tabella-
risch nüchterne Erwähnung solcher Ereignisse offenbar auch eine ästheti-
sche Selbstfindung als Weg von der Erlebnishaftigkeit des Schönen zu des-
sen Abstraktion und Konzeptualisierung. Wie in Prousts Roman korres-
pondiert insofern die sich wandelnde Rezeptionshaltung mit der sich festi-
genden Einstellung zur eigenen künstlerischen Arbeit.
2.6 Zwischen Spinell und Castorp in Katalonien
„Memoria" und „persona" des rückblickenden Subjekts fügen sich nicht in
eine konfliktfreie Authentizität. Die Maskenhaftigkeit des erschriebenen
Lebens tritt dort am stärksten in Erscheinung, wo erlesene Erfahrung
gelebtes Dasein ent-setzt. Bei der Beschreibung seiner – im Spanien der
vierziger Jahre keineswegs seltenen – Tuberkuloseerkrankung scheinen
sich – wie in einer
novela picaresca – das erlebende und das reflektierende IchTàpies' gleichsam in einen stoisch-reflektierenden und einen literarisch-
modellierenden Erzählerpart zu dissoziieren. So wird der Schicksalsschlag
zunächst zwar trotz der physischen Bedrängnis („moments d'esfondra-
ment", „una caiguda total fins al fons de tot, fins als límits mateixos de la
follia"; Tàpies, 1977: 141) als Herausforderung, gar symbolischer Tod
(„mort ritual"; ebd.) vor der Wiedergeburt in eine damals noch nicht
taxierbare Existenz („per renéixer a una etapa superior de l'existència";
ebd.) verstanden. Doch die sich hieraus unmittelbar ergebende Situationder Einweisung in das Sanatorium von Puig d'Olena erhält sogleich eine
positive Wendung dadurch, dass sein behandelnder Arzt kein geringerer als
Jacint Reventós ist, einstiger Weggefährte aus Picassos Barceloniner
Bohème-Epoche im Lokal „Els quatre gats". Fast könnte der Eindruck
entstehen, dass bereits mit der Einführung des feinsinnigen Arztes Reven-
tós, der später Tàpies bei Picasso einführen wird (Tàpies, 1977: 274),22 die
weitere Darstellung des Sanatoriumsaufenthalts in unerwarteter Weise von
einer kreatürlichen auf eine ästhetische Seinsweise hin verschoben wird.
Nicht nur wird Tàpies' Beschreibung des Ambientes in Puig d'Olena ver-
glichen mit anderen Schauplätzen auffällig detailliert (Tàpies, 1977: 142f.)
22 Zu dieser Episode cf. Wild (2012: 11f.).
und gelegentlich gar ironisch distanziert. Die Deformation des autobiogra-
phischen Dokuments zur literarisch abgetönten Fiktion ist erreicht, wenn
Tàpies explizit Thomas Manns 1924 erschienenen Sanatoriumsroman
DerZauberberg mit der Situation in Puig d'Olena in Relation setzt:
Jo vaig trobar de seguida coincidències amb
La muntanya màgica, que, naturalment
m'havia semblat obligat de llegir per ambientar-me tan bon punt vaig posar-me malalt,abans de sortir de Barcelona. El conjunt, però menys confortable que a la novel·la, més
real que aquell confort sumptuós de salons i passadissos encatifats, amb cortinatges de
vellut vermell fosc que descrivia Thomas Mann. Aquí tot era més funcionalment higiè-nic, més de clínica moderna. De tota manera, tanmateix, la primera impressió fou
extraordinàriament semblant. Quan vam arribar, petits grups feien el seu passeig mati-nal i la imaginació em va fer transformar de seguida en un veritable Hans Kastorp.
(Tàpies, 1977: 142f.)
Trotz des funktionalistischen Ambientes („més de clínica moderna") ist
gleich Castorps Aufenthalt auch derjenige Tàpies' vor allem mit Lektüren –
vor allem ästhetikgeschichtlicher und philosophischer Werke – ausgefüllt.
Auch hier erfolgt die Einschreibung gegen den Intertext, da der VerfasserTàpies das Thema des literarischen Sanatoriums durch den neuen Kontext
des frühen Franquismus gleich mehrfach dekonstruiert: Da versteckt sich
zunächst der republikanische Dichter Carles Riba auf der Flucht vor den
Falangisten: „no precisament per motius de salut" (Tàpies, 1977: 145). Und
auch die Schriften, die sich Antoni in das von Dominikanern (einstmals
Begründer und Schergen der Inquisition!) geführte Sanatorium schicken
lässt, werden ganz im Sinne der Diktatur vorzensiert: Der Klinikpfarrer
Ventura liest alle an Tàpies geschickten Bücher selbst zuerst, um sodannfruchtlose ideologische Diskussionen des Patienten anzuzetteln. Während
bei Thomas Mann die Auseinandersetzung mit der Literatur im Dialog mit
Settembrini und Naphta zu den anregendsten Partien dieses ‚Romans ohne
Handlung‘ gehören, findet zwischen dem Künstler und dem Religionsver-
treter nur ein fruchtloser Dialog statt, der das Francoregime in keineswegs
zufällige Nähe zum Spanien der „leyenda negra" rückt.
Wiederum ist es das auch bei Thomas Mann, Marcel Proust und später
bei Sartre und Carpentier konventionalisierte Verfahren, Musik – vor allemdes späten 19. Jahrhunderts – als Reflexionsmedium („aquella emoció tan
intensa", Tàpies, 1977: 149) auszubeuten,23 mittels dessen Tàpies hier iro-
nische Distanzierungen hervorruft. Wieder dient Musikhören einmal als
23 Zu Proust cf. Wild (1987), zu Carpentier Wild (2004), zu Sartre Wild (2008).
Ent-Setzte Lektüren: Antoni Tàpies'
Memòria personal
egozentrische Selbstbespiegelung (Tàpies, 1977: 149), später als werkge-
rechte Wahrnehmung, die er am Beispiel des Kategoriensystems des
Kunsthistorikers Wölfflins entwickelt: „Em va semblar que descobria unanova manera d'apreciar les obres d'art antic, independentment del seu
tema, allò que Delacroix n'havia dit la música del quadre" (Tàpies, 1977:
144). Wie im vorausgehenden Abschnitt skizziert, entspricht den beiden
ästhetischen Modalitäten die historisch-biographische Distanz zwischen
dem erinnernden Autor und dessen erinnerten, jugendlich-chaotisierten
Ich („Tot ho veig confús", Tàpies, 1977: 149). Eine Fülle intertextueller
Selbstzuschreibungen entfaltet diese Differenz: Tagore, Hamsun, Ibsen,
Tolstoj, Stendhal, Proust, Gide, France, Maupassant werden auf zweiDruckseiten abgearbeitet. Eine Klausel erfährt diese Rhapsodie von sub-
jektiven Aneignungen in der beiläufigen Nennung von Pío Barojas Werk
Lucha por la vida, das als romanhafte Psychoanalyse des Traumas der 98er-
Jugend im Kontext von Tàpies damaliger physischer wie auch Spaniens
politischer Misere kaum der Erläuterung bedarf.
Die Tragödie, die Tàpies sein erinnertes Ich nochmals durchleben lässt,
ist wieder die Tragödie aller „Helden als Leser" von Quijote über Madame
Bovary und Jean des Esseintes bis zu Prousts Protagonisten Marcel. Dieseironische Brechung erlangt nicht erst im Gesamtkonzept der Autobiogra-
phie Evidenz, sondern sie ergibt sich aus einer konstitutiven Hybridie von
Tàpies' Schreiben. Das Stilmittel des inneren Monologs erschafft hier eine
forcierte Konkomitanz von innerer und äußerer Wirklichkeit, literarisch
inspirierte Intensitätsmomente („Peer Gynt, aquest sóc jo"; Tàpies, 1977:
149) wechseln in unvermitteltem Nebeneinander mit deren Dekonstruk-
tion: „Pensar no és res. Són paraules. L'important és viure" (ebd.).
Das Thema der egozentrischen Selbstbespiegelung wird vor allem in
den ersten beiden Dritteln der Autobiographie profiliert und in dem Maße
gedämpft, in dem Antoni Tàpies sich durch die Familiengründung, politi-
sches Engagement und künstlerische Bestätigung „findet". Während der
Blick auf die bildende Kunst und deren ästhetische Theorie bereits in den
frühen Partien in einer Nüchternheit24 dargestellt wird, die im zweiten Teil
des Werks mitunter einem ausgesprochenen Lapidarstil weicht, werden
Musik und Literatur stets als subjektzentrierte Surrogate der äußeren Wirk-
lichkeit eingespielt:
24 Vgl. Tàpies (1977: 177f. [Entdeckung der frühen Moderne, Diskussion von Gómez de
la Sernas avantgarde-kritischem Werk
Ismos]).
I tot molt més real que el de fora, més harmoniós i mes bo. Melancolies de Chopin,gravetats de Brahms, obertura tràgica, tema amb variacions de la
Quarta simfonia, audi-
cions apassionades en moments turmentats. (Tàpies, 1977: 166)
Auffällig ist, dass in der Darstellung dieses Lebensabschnitts die Zeit-
künste nicht nur zur emotionalen Projektionsfläche funktionalisiert, son-dern hinsichtlich ihrer referentiellen Differenz austauschbar werden.
Zumal die Musik wird bis in die Epoche der Bekanntschaft mit seiner
Lebensgefährtin Teresa vorübergehend zum Dispositiv eines wahrneh-
mungstheoretischen Subjektivismus, der in seiner Austauschbarkeit opti-
scher und akustischer Reize auf Merleau-Pontys „vorlogische" Konzeption
der Synästhesie (Merleau-Ponty, 1966) verweist:
D'aquells temps tinc, és clar, la transfiguració brusca de tot i els records més dolços,
més autènticament amorosos que mai hagi experimentat en tota la meva vida, i també
els més inoblidables. Tot em parlava d'ella. Audicions melancòliques de la sonata deCésar Franck, del quartet de Debussy i de la seva
Primavera que em transportava en uns
imaginaris camps de la Cerdanya, on jo corria com un foll agafat de la mà de la meva
criatura adorada. (Tàpies, 1977: 195)
Der Referenztext ist wieder Prousts
À la recherche temps perdu. Nicht nur
wird der Hörer zum „Leser seiner selbst", dem Natur, Empfindung und
Tonkunst zu einem assoziativem Konstrukt werden, auch die Referenz-
werke verweisen zurück auf Proust, der unter anderem César Francks Vio-
linsonate A-Dur und Debussys Streichquartett g-moll als Vorbilder heran-
zog. Während aber bei Proust der mediale Weg der realen Kunstwerke in
einen Roman führt, der sich als autobiographischer und ästhetischer Essay
geriert, der diese zu „imaginären Kunstwerken" (Butor, 1965) im Diensteder eigenen Poetologie werden lässt, führt das erlebende Ich in
Memòria per-
sonal alle äußeren Wahrnehmungen – Musik, Poesie, Natur – auf sich selbst
zurück. Tàpies attribuiert seinem
alter ego damit jenen Subjektivismus, der
gerade im ersten Teil von Prousts Werk mit der Funktion der „petite
phrase" aus der rein fiktiven Sonate des nicht minder fiktiven Komponis-
ten Vinteuil vorherrscht und den erst Prousts Ich-Erzähler am Ende des
Bandes
Le temps retrouvé überwindet. Noch in dem späteren Abschnitt
„París. Teresa. El desert" findet sich eine vergleichbare intertextuelle Ein-schreibung:
Moments sublims en què vam començar a conèixer els nostres cos, en què vam apren-
dre a desvetllar-nos totes entregues. "Íntims, sols. , enmig d'espais immensos. Tu
Ent-Setzte Lektüren: Antoni Tàpies'
Memòria personal
Isolda, tu Tristany. Tu Tristany, jo Isolda… Mai més Isolda, mai més Tristany." (Tà-pies, 1977: 279)
Ausdrücklich ist die Episode der erotischen Verbindung des jungen
Künstlers mit der geliebten Teresa nämlich als Replik auf Wagners
Tristan
und Isolde gekennzeichnet, der im Teatre del Liceu 1899 erstmals in Katalo-
nien aufgeführt und seit 1904 in der gedruckten Übersetzung Joan Mara-
galls25 vorlag und der zahlreiche Reperkussionen in der katalanischen Kul-tur bis hin zu Dalís Theaterfragment „Tristan loco"26 hervorgebracht hat.
Mehr als ein Jahrhundert nach Entstehung der Oper stellt der Rekurs auf
gerade diese bekannteste Passage von Wagners Text von vornherein ein
verfremdendes Verfahren dar, das durch die medizinische Kargheit des
einleitenden Abschnitts („vam començar a conèixer els nostres cos") Wag-
ners Sprachpathos dämpft:27
[TRISTANY] Oh, eterna nit!
Oh, augusta nit d'amor!
Si tu ens abraces,
si tu ens somrius,
wie – wär' ohne Bangen
¿com mai despertar-nos
aus dir er je erwacht?
podríem sens terror ?
Nun banne das Bangen,
Fes fora l'amgoixa,
sehnend verlangter
En els teus braços
ur-heilig Erwarmen,
tu ets qui ens inflames
von Erwachens Noth befreit.
lluny del despertar fatal.
¿Com deixar-les,
les delícies.
25 Cf. Schreiber (1998).
26 Cf. Winter (2007).
27 Wir stellen Maragalls Version und den Wagnerschen Urtext im jeweils originalen
Wortlaut und Druckbild gegenüber, woraus Abweichungenen des katalanischen Textes
ersichtlich werden. Diese liegen vor allem in der unterschiedlichen Zuordnung derGesangspartien, die im deutschen Ursprungstext nicht vorhanden sind. Maragalls
Zuordnung entspricht hingegen der Verteilung der Stimmen in der Partitur (Wagner,
in ungemess'nen Räumen
sola eterna vida interna
pels espais immensos celestials ensomnis:
[ISOLDA] Tu Isolda,
nicht mehr Tristan,
[TRISTANY] Tristany tu,
mai més Tristany!
[TOTS DOS] Sens nomar-nos
nova ardència.
heiß erglühter Brust
Sens fi, sempre un pensament.
höchste Liebes-Lust!
Sens fi, sempre sense fi:
(Wagner, 1857: 50f.)
goig suprem d'amor!
(Maragall, 1902: 561f.)
Ironieverdächtig ist die Paraphrase des Liebesakts mittels eines der
bekanntesten Operntexte allerdings nicht erst seit
Memòria personal, sondern
bereits seit Thomas Manns Novelle
Tristan (1902; 1920 ins Spanische über-setzt). Mann schildert dort bekanntlich den missglückten Ehebruch zwi-
schen dem Poeten Spinell und der Industriellengattin Gabriele in dem
Sanatorium „Einfried". Gabriele und Spinell teilen mit Tàpies das Tuber-
kuloseleiden und die Begeisterung für Wagner, dessen
Tristan und Isolde zur
Begleitmusik einer ironisch missgeleiteten Parodie gerade der bekannten
Liebeszene abgleitet:
Süße Nacht! Ewige Liebesnacht! […] Banne du das Bangen holder Tod! Löse du nun
die Sehnenden ganz von der Not des Erwachens! […] Wie sie fassen, wie sie lassen,
diese Wonne fern den Trennungsqualen des Lichts? Sanftes Sehnen ohne Trug undBangen, hehres, leidloses Verlöschen, überseliges Dämmern im Unermesslichen! Du
Isolde, Tristan ich, nicht mehr Tristan, nicht mehr Isolde – – – […] (Mann, 1902: 194)
Im Gegensatz zu Tàpies greift Thomas Mann in seiner Paraphrase auf
ein umfangreicheres Stück des Originaltexts zurück, der bereits die bei
Wagner vorgegebene Hinwendung zum Tod artikuliert, um dessen ideolo-gische Konsequenz in seiner Überschreibung durch ironische Eingriffe des
Ent-Setzte Lektüren: Antoni Tàpies'
Memòria personal
Erzählers und groteske Einbrüche zu untergraben: Mann greift bewusst
Wagners ursprüngliche Dramaturgie auf, da der Störung der Liebesszene
durch den Auftritt Kurwenals und König Markes Unterbrechungen durchdas Sanatoriumspersonal entsprechen, die auf die Verbürgerlichung des
Ehebruchskasus hinweisen. Auf diese Pointe will Tàpies freilich nicht
zurückgreifen, da in
Memòria personal die Übertragung der Wagnerischen
Thematik auf den zentralen Wendepunkt in seiner persönlichen Existenz
hin ausgerichtet ist und überdies die Problematik des Ehebruchs überhaupt
nicht gegeben ist.
Zudem ergeben bei einem Vergleich aller Versionen an einer zentralen
Stelle für die jeweilige Interpretation der Passage relevante Differenzen.
Denn trotz verschiedener Streichungen im einleitenden Abschnitt repro-
duzieren sowohl Mann wie Tàpies Wagners letztendliche Version, die den
Liebesakt durch rhetorische Strukturen metaphorisch nachbildet. Die
Annäherung der Körper wird bei Tàpies („vam començar a conèixer els
nostres cos") wie bei Wagner / Maragall als Aufgehen des Subjekts im
geliebten Gegenüber und damit als Preisgabe des Status als Person in einer
bis zur völligen Austauschbarkeit der Identität getriebenen Annäherung,
Kreuzung und Überlagerung der zu Signifikanten transformierten Prota-gonisten metaphorisiert, der auf rhetorischer Ebene die konsequente
Transformation von syntaktischen Stilfiguren (Chiasmus, Negation, Paral-
Wagner (1857/ 1906: 50): „Du Isolde, Tristan ich, nicht mehr Tristan, nicht Isolde"Wagner (1860/ 1912: 417–420):
„Du Isolde / Tristan du / Tristan ich / Ich Isolde / nicht mehr Isolde / Nicht
Mann (1902: 194): „Du Isolde, Tristan ich, nicht mehr Tristan, nicht mehr Isolde – – –"Wagner / Maragall (1904 /1981: 561]:
„ISOLDA: Tu Isolda, Tristany jo, mai més Isolda!TRISTANY: Tristany tu, jo Isolda; mai més Tristany!"
Tàpies (1977: 279):
„Tu Isolda, tu Tristany. Tu Tristany, jo Isolda… Mai més Isolda, mai més
Zweifellos geht die von Tàpies zitierte Version der Stelle auf Maragalls
an der Partitur orientierte Übersetzung zurück. Neben den Abweichungen
von Libretto (1857/ 1906) und endgültiger Partitur (1860 /1912) ergeben
sich trotz zahlreicher Eingriffe Manns an früherer Stelle, die als ironischeBrechung zu werten sind, gerade hier keine Abweichungen. Veränderun-
gen in Tàpies' Fassung betreffen nicht den zentralen Abschnitt, wohl aber
dessen Einleitung, die wie ungenau aus dem Gedächtnis zitiert erscheint
(Tàpies: „Íntims, sols…, enmig d'espais immensos…"; Wagner / Maragall:„sola eterna vida interna pels espais immensos celestials en somnis"). Als
markierte Intertextualität wird der Abschnitt – außer für geübte katalani-
sche Wagnerianer – für die Mehrzahl der Leser indes erst durch die Wag-
ner-Referenzen erkennbar. Deren Klischeecharakter wird wiederum sofort
durch den unmittelbar folgenden Bruch im Erzählablauf evident („Parado-
xalment, els mesos que van seguir foren també els moments de més difi-
cultats" [Tàpies, 1977: 279]). An dieser Stelle wird insofern die künstleri-
sche Reminiszenz als Zitat sichtbar gemacht. Auf der Ebene von Tàpies'Verfahrenspoetik entspricht ihr das fragmentarische Material als einer in
ihrer Fülle und ihrem Wandel nicht einholbaren Lebenswelt.
Noch deutlicher fällt die Haltung rückblickender Distanz des erzählen-
den Ichs in einer späteren Szene der
Memòria personal auf, in der wieder
Musik als allegorisches Medium von Stimmungen fungiert. Noch einmal ist
es Wagners Musik, die er gemeinsam mit Joan Brossa konsumiert, der sich
in seinen Werken ebenfalls wiederholt mit Wagner auseinandersetzt. Iro-
nieverdacht kommt jedoch auf, als beiläufig erwähnt wird, das Brossa am„carrer de Wagner" geboren sei (Tàpies, 1977: 206). Distanz zwischen
Erleben und Erzählen wird zugunsten einer an Flaubert gemahnenden Kli-
scheemassierung getilgt, als die Rede romantischer Innerlichkeit Debussys
Musik und die Lyrik der frühen Moderne absorbiert:
Com oblidar els plenilunis d'aquell amor secret! L'última primavera –Ich liebe dich– deGrieg. La migdiada del faune, Núvols, sirenes, festes, poemes de Mallarmé, de Poe,
Annabel Lee…, petits poemes de Bilitis, Whitman, Lorca… (Tàpies, 1977: 206)
Der Verdacht auktorialer Ironie des alternden Großkünstlers im Um-
gang mit seinem erinnerten
alter ego gründet aber nicht nur in der zeitlichen
Distanz zwischen Anlass und Schreibvorgang und den offenkundigenintertextuellen Einschreibungen dieser Partien in die Wahrnehmungs-
diskurse, mit denen neben Proust auch Thomas Mann in seinem Erzähl-
werk operiert. Wie auch oben dargelegt, ist der ambientale Kontrast von
Einschreibung und Kontext charakteristisch, der den Paratext als mutwillig
inkorporiertes und damit musealisiertes Fragment ausweist. Schließlich
stehen alle eingeschriebenen Partien zu ihrer textuellen Umgebung in
ostentativ kontrapunktischer Beziehung, insofern das Ambiente in nüch-
Ent-Setzte Lektüren: Antoni Tàpies'
Memòria personal
terner Weise auf eine außerhalb des Subjekts liegende „Objektivität" der
materiellen Außenwelt ausgerichtet ist.
Sieht man bei all diesen Episoden von der Diskrepanz zwischen Am-
biente und paratextuellen Einschlüssen ab, so verhält sich Tàpies gegen-
über seinem erzählten Ich fast immer wertungsabstinent, was mit dem von
ihm vertretenen Konzept „authentischen Künstlertums" korrespondiert,
das er an der Gestalt des verehrten Paul Klee verdeutlicht: „Klee repre-
sentava, per a mi, la demostració que un gran artista és sempre un autèntic
‘exemplar humà'" (Tàpies, 1977: 209). Nur im Falle der Begegnung mit
Joan Miró tut sich explizit die Differenz zwischen der Maske des Erin-
nerns und dem erschriebenen Selbst des Erzählers Tàpies auf. Vorbereitetwird die Begegnung mit Miró durch den Besuch bei dem Sammler und
Mäzen Joan Prats, der neben zahlreichen Werken anderer moderner
Künstler in seiner Privatwohnung nahe der Avinguda Diagonal zahlreiche
Gemälde, Zeichnungen und Skulpturen beherbergte (die seit 1975 den
Grundstock der von dem Sammler initiierten
Fundació Miró bilden):
Era una vivenda relativament petita però a mi se'm representava un temple grandiós.
Les parets eren cobertes d'obres de Miró. Per a mi, que no havia vist res al natural de
Miró, fou un xoc fortíssim. Olis, guaixos, dibuixos, litografies, escultures, cartells, llibre,etc. Aquella col∙lecció d'en Prats era una cosa totalment viva, un pur amor a aquella
obra, sense mai pensar en les especulacions de tants de col∙leccionistes. (Tàpies, 1977: 207)
Auch hier figuriert Marcel Proust als unmittelbares Vorbild, nämlich in
der Bildergalerie des fiktiven Malers Elstir in
Du côté des Guermantes (Proust,
1954: II, 418–423). Während allerdings die Beschreibung des Bilderzim-
mers für Proust wieder eine in erster Linie poetologische Funktion hat(„comme les images lumineuses d'un lanterne magique laquelle eût été,
dans le cas présent, la tête de l'artiste", Proust, 1954: III, 419), dient der
Besuch in dem „temple grandiós" vor allem dazu, die Beschreibung eines
gemeinsamen Atelierbesuchs mit Brossa und Prats vorzubereiten, dem
Tàpies, trotz der anfänglichen Zurückhaltung Mirós, deutlich hagiographi-
sche Züge verleiht, die im letzten Teil zeitweilig in ironische Distanz um-
Tots ens vam reunir a la botiga i amb gran emoció i solemnitat vam pujar al taller d'en
Miró. […] Recordo que ens va donar unes copes de conyac i aleshores va anar a buscar
la primera pintura. Fins en aquell moment el taller es veia buit, amb tots els quadresgirats endreçadíssim. Fou una bona experiència per a mi –que pràcticament no havia
vist un veritable taller, i el taller del pintor més gran del nostre país i d'una generacióarreu del món. Tot ho vaig absorbir amb una devoció quasi ridícula. (Tàpies, 1977: 208)
Um die vermeintliche Erhabenheit der geschilderten Szene restlos zu
dekonstruieren, zitiert Tàpies Joan Brossas Kraftausdrücke beim Betrach-
ten von Mirós Werken („me cago en això i allò", Tàpies, 1977: 208).
Die Ironisierung des künstlerischen Pathos erfolgt hier durch parodisti-
sche Effekte, die vorzugsweise an den Texträndern auftreten, wodurch die
Referenzen explizit ins Relief gesetzt werden. In anderen Episoden versagt
sich Tàpies' erinnerndes Ich jeglicher Wertung des subjektiven Empfin-
dungsreichtums, der am stärksten in den oben erläuterten
Tristan-Referen-
zen evident wird. Die Distanz von Erzähler und erlebendem Ich zeigt sich
als Differenz von Materialität und Idealität ein und derselben Wirklichkeit.
Im Modus gesteigerter Subjektivität inszeniert Tàpies rückblickend seinjugendliches
alter ego also ganz in romantisch-bürgerlicher Tradition als
Hörer und Leser seiner selbst, der ohne Blick auf das im strengen Sinne
Handwerkliche dieser Künste in subjektiver Form deren imaginative Wir-
3 Ent-Setzen der Realität in der Literatur
Auf der biographischen Schwelle zur engagierten Künstlerexistenz wirdTàpies auch Sartres erster Roman
La nausée zum Ausdruckvehikel der eige-
nen transzendentalen Intentionen:
La nausée, que em e va deixar el meu antic condeixeble de can Colapi Joan Ferraté, el
qual llavors vaig tornar a veure sovint, fou de les primeres obres de Sartre que vaig lle-gir. Em va semblar fet a la mida per expressar les meves angoixes i les meves intuïcions
metafísiques d'aleshores i em va confirmar que aquestes angoixes i aquestes intuïcionsno eren tan exclusivament meves com creia, sinó que eren realment molt autèntiques i
molt fruit d'aquell temps. I a la vegada potser molt pròpies de tot temperament inclinat
a l'art i a la poesia. (Tàpies, 1977: 173)
Sartres Frühwerk seinerseits stellt bereits eine spätmoderne Replik auf
den synästhetischen Subjektivismus Prousts dar.28 War es bei Sartre das
Anhören des Bluestitels „Some of these days" (Sartre, 1950: 216–222) auf
einer Grammophonplatte, bei Proust der „texte retrouvé", George Sands
François le Champi, in der Bibliothek des Herzogs von Guermantes (Proust,
1954: III, 882–886),29 so erfolgt bei Tàpies die Errettung der äußeren
Wirklichkeit durch die Sartre-Lektüre, jedoch als zunächst nur „erahnter"
28 Cf. Wild (2008).
29 Cf. Roloff (1985).
Ent-Setzte Lektüren: Antoni Tàpies'
Memòria personal
Rückgewinn authentischer ästhetischer Erfahrung. Wie bei Sartre und
noch deutlicher am Schluss von Prousts
Le temps retrouvé ergeben sich für
die Lebenspraxis – und damit für Tàpies' künftiges Künstlertum – Konse-quenzen, die sich – wie ebenfalls an anderen Stellen der Autobiographie –
nicht durch ästhetische Unmittelbarkeit, sondern über die Rationalität
eines theoretischen Diskurses artikulieren können. Bereits Marcel Prousts
Protagonist gerät durch die wiedergefundene Lektüre in einen Kanal von
Selbstreflexionen, die in der Darlegung einer Romanpoetologie münden,
die das Konzept eines mimetischen Realismus weit hinter sich lässt:
Quelques uns voulaient que le roman fût une sorte de défilé cinématographique des
choses. Cette conception était absurde. Rien ne s'éloigne plus de ce que nous avons
perçu en réalité qu'une telle vue cinématographique. (Proust, 1954 : III, 8882f.)
Sartres Antiheld Roquentin hört auf der Grammophonplatte die
Stimme der womöglich längst verstorbenen „négresse" und wird sich
dadurch gewahr, dass äußere Realität nur im kreativen Akt wiedererlangt
und bewahrt werden kann:
Une autre espèce de livre. Je ne sais pas laquelle – mais il faudrait qu'on devine, derrièreles mots imprimés, derrière les pages, quelque chose qui n'existerait pas, qui serait au-
dessus de l'existence. Une histoire, par exemple, comme il ne peut pas en arriver, une
aventure. Il faudrait qu'elle soit belle et dure comme de l'acier et qu'elle fasse honte auxgens de leur existence. (Sartre, 1950: 222)
Weder beiläufig noch zufällig beziehen sich Proust und Sartre im Mo-
ment wiedergewonnener Wirklichkeit auf das Erleben eines bereits in
unserer Lebenswelt existierenden Kunstwerks, um aus diesem Inzitations-
moment den Impetus einer Kreativität zu ziehen, die die ästhetischen
Prämissen der vorausgehenden Epoche dadurch überholt, dass aus der
Rezeption dieser Werke eine zukunftsträchtige Beziehung zur Realitätgestiftet wird, die Kunstschaffen wie Wirklichkeitserfahrung erst ermög-
licht. Sind es bei Proust wie bei Sartre die Grundlagen zur Erneuerung der
Romankonzeption – nämlich als einer Rückgewinnung von Subjektivität
durch den gewandelten Blick auf die Objektwelt –, so ist im ersten Teil
seiner
Memòria personal auch Tàpies auf der historisch-biographischen
Ebene mit dem Problem der Absorption von Realität befasst, das er im
Lauf seiner Jugend unter mannigfachen künstlerischen Einflüssen löst, die
als intertextuelle Einschlüsse den ersten Teil vom
Memòria personal zurMaske der Erinnerung werden lassen.
Dies bedeutet für ihn indes, sich von ästhetischen Grundsätzen zu
lösen bzw. diese neu zu bestimmen, die gerade der spanischen Kunst seit
Velázquez einbeschrieben schienen. Dieser Konflikt bricht auf, als nachseinem Sanatoriumsaufenthalt der Entschluss, Maler zu werden, unum-
Era conegut el pedestrisme i la falta de volada d'algunes mentalitats d'aquí i de com fou
funest –i ho continua essent en alguns casos– el seu pontificat en els papers impresosentre els anys vint i trenta i de com l'excusa del realisme català, de la serenitat assenyada
o de l'humanisme mediterrani ha estat tantes vegades la tapadora de moltes beates me-diocritats o nul∙litats. Tots els qui creien que s'havia de copiar Courbet eternament i que
les arengades de Nonell eren un model per sempre més, els Joans Sachs, els Merli, els
Cortès, els Josep Pla i els seus imitadors, tants i tants creguts que els seu "realisme" eral'únic autèntic i que gràcies a ells tindríem bodegons, paisatges i figures que els nostres
botiguers anirien venent pels segles dels segles. (Tàpies, 1977: 169)
Gerade weil nun
Memòria personal in einer expliziten und indirekten
genetischen Relation zu Sartre (und wohl auch zu Proust) steht, muss in
der (mit dreißigjähriger Verspätung niedergeschriebenen) Suche einerauthentischen ästhetischen Konzeption, die sich von der „idealistischen"
Ästhetik Hegels und der bei ihm entwickelten Idee vollkommener Schön-
heit entfernt, auch der Erneuerungsansatz des Künstlers im Kontext der
Lektüreerfahrung von
La nausée gedeutet werden: an dessen Ende gelangt
Roquentin bekanntlich zu ähnlich radikalen Postulaten eines Kunstwerks
(„belle et dure comme de l'acier", vgl. o.), das
grundlos („au-dessus de
l'existence") exemplarisch sein möchte:
Anys més tard vaig veure-ho molt ben expressat per Herbert Reed. Què tenia Shakes-
peare que no posseeixi un fuster. No hi a cap misteri: era la capacitat de treballar amb
material psicològic… amb els desigs, les emocions, els temors i les fantasies de l'home.
I aquí està allò que és peculiar de l'artista, el que es reconeix com la seva grandesa, ja
que aquests materials no poden ser treballats superficialment… L'artista ha d'estar dis-posat a bussejar per sota del nivell normal de la consciència humana, i ficar-se sota
l'escorça de la conducta i el pensament convencionals, a penetrar dins el seu jo incons-
cient i l'inconscient col∙lectiu del seu grup o raça.
L'experiència és dolorosa ja que aquestaprofunditat l'obra creadora es realitza a costa de l'angoixa mental. (Tàpies, 1977: 173; Kursive im
Im Gegensatz zu anderen intertextuellen Einschlüssen handelt es sich
hier um keine Paraphrase auf der Basis struktureller Analogien, sondern
um ein explizites Zitat aus Herbert Reeds
To Hell with Culture (1941), derhier keineswegs willkürlich genannt wird, war letzterer es doch, der in der
Ent-Setzte Lektüren: Antoni Tàpies'
Memòria personal
anglophonen Welt noch vor Roland Penrose als erster Vermittler des Sur-
realismus auftrat, während Tàpies den Surrealismus für sich entdeckt, der
ihm bislang vor allem in den Werken der einst durch
D'ací i d'allà vertrete-nen Avantgardisten zugänglich war.
Offenkundig haben die Sartre-Lektüre und der konkrete Rückgriff auf
den Surrealismus Tàpies in seiner Abwehrhaltung gegen den herkömm-
lichen Realitätsbegriff („aquella espontània aversió pel que jo en deia ‘rea-
litat oficial'", Tàpies, 1977: 174) bestärkt, dem er seine Auffassung einer
„
autèntica realitat" (Tàpies, 1977: 176) entgegensetzt. Bereits Marcel Proust
(ebenso wie fast zeitgleich Rilke im
Malte Laurids Brigge) inkorporiert
bewusst nicht nur vorgängig literarisches Material als nicht gekennzeich-netes Zitat (Bertho, 2003: 180f.), teils in Gestalt überschriebener Original-
zitate aus Baudelaire, Ruskin etc. oder pastichierter Einschlüsse, so dass
Walter Bruno Berg bereits im Kontext von Prousts Poetik von dem „ver-
lorenen Paradies" des „unverwechselbar
eigenen Stils" sprechen konnte:
„Die Reinheit seines Stils ist der Dialog, die Parodie, die Transkription, der
Pastiche." (Berg, 1998: 33) Es erweist sich offenkundig, dass der bildneri-
schen Entgrenzung, die namentlich von Futurismus und Dada ausgehend
Tàpies' Schaffen infiltriert, mit einer Vervielfältigung der Gestaltungs-potentiale des sprachlichen Oberflächendiskurses korreliert, über die sich
das schreibende Subjekt – gleich den Heteronymen Fernando Pessoas – im
Akt ästhetischer Selbstvergewisserung aufspaltet in eine „Folge diskonti-
nuierlicher ‚mois successifs', deren Wesen verborgen bleibt zwischen den
Zeilen der anderen" (Berg, 1998: 33). Der Begriff der Authentizität ist wie
derjenige der Realität bei Tàpies an ein Wissen um die Abhängigkeit von
Subjekt und Objekt gebunden, die Sartre sich in
La nausée – Descartes'
Dis-
cours de la méthode umkehrend (Wild, 2008) – als Basis seiner Existenzphilo-sophie erschreibt. Jener letztlich vormoderne „enigmàtic cercle viciós on
semblaven estar tancats els conceptes del
subjectiu i l'
objectiu" (Tàpies, 1977:
132; Kursive im Orig.), der bekanntlich bereits um die Wende zum 20.
Jahrhundert in die Krise führte und dem sich die Avantgarden, namentlich
Dada und der daraus hervorgegangene Surrealismus, verdanken. Deren
Redefinition des Wirklichkeits- und damit auch Werkbegriffs gründet vor
allem in der Aufwertung bislang missachteter Genres, Formen und Mate-
rialen, die wie in den Bildwerken des Antoni Tàpies aus ihren Kontextenent-setzt werden. Insofern korrespondiert das Jonglieren mit intertextuel-
len Einschlüssen in Tàpies' Text mit dem Wandel des Materialbegriffs der
neueren Ästhetikgeschichte. Ging die klassische Ästhetik von der Distanz
des Subjekts zum vorgestellten Gegenstand aus, die seit Albertis
De pic-
tura 30 die Vorherrschaft der Kunstfertigkeit über das Material und somit
einem bildnerischen Mimetismus postulierte, so entspricht dem auf der
Werkebene der
Memòria personal eine freilich in einer Intertextualität nichtmehr distanzlose Illusionsbildung, die in der Kunstphilosophie Hegels und
Schopenhauers auf ein entmaterialisiertes Schönes abzielt. Einer derart
alles denkbar Physisch-Haptischen beraubten Qualität des Werks begegnet
der Surrealismus bekanntlich durch die Problematisierung des Sichtbaren,
sei es seines zeichentheoretischen Status (Magritte), seiner visuellen Ein-
deutigkeit (Dalí) oder seiner ambientalen Identität (Max Ernst). In wir-
kungsästhetischer Hinsicht geht Antoni Tàpies darüber durch das Postulat
einer neuen Gegenwärtigkeit („el valor de presència", Tàpies, 1977: 185)hinaus, wie Umberto Eco es in seinem Plädoyer für die Husserl'sche Phä-
nomenologie formulierte – die „Anwesenheit von Essenz":
e al postutto nella fenomenologia vi è un richiamo alla contemplazione delle cose al di
qua degli irrigidimenti delle abitudini percettive e intellettuali, un "mettere tra parentesi"la cosa quale si è abituati a vederla e interpretarla comunemente per cogliere con asso-
luta e vitale freschezza la novità e l'essenzialità di un suo "profilo". (Eco, 1962: 231)31
Auf Tàpies' Lebenswerk angewendet, bedeutet dies eine ästhetische
Verschiebung, die den Wirklichkeitsstatus der bildenden Kunst in ihremWesen betrifft, da sie Schopenhauers Hierarchie der Künste ins Gegenteil
verkehrt, indem sie das Ideal geistiger Substanz im künstlerischen Material
selbst verordnet. Exemplarisch zu zeigen wäre dies bereits an den frühen
Materialassemblagen seit den vierziger Jahren: so reflektiert
Figura de paper
de diari i fils von
1946 (Abb. 1) alle zugrundeliegenden pikturalen Verfah-
rensweisen, Inkorporieren von werkfremdem Material (Zeitungspapier,
Fäden), deren Reinterpretation als erkennbare neue Bildstruktur (die auf
ein organisches Wesen der Lebenswirklichkeit verweist) durch Arrange-ment und Überarbeitung des Materials (Schnittkanten, Übermalung bzw.
Überklebung) bei gleichzeitigem Erhalt der originärenen Materialproze-
denz und Verlust ihrer lebensweltlichen Funktion (Nachrichtenübermitt-
30 Alberti (1975: 44–45 bzw. 2010: 102–103).
31 „die Phänomenologie möchte hinführen zur Betrachtung der Dinge jenseits der
erstarrten Wahrnehmungs- und Denkgewohnheiten, sie fordert auf zu einem ‘In-Klammern-Setzen' des Dinges, so wie man sich angewöhnt hat, es zu sehen und zu
deuten, und will dadurch mit absoluter und vitaler Frische die Neuheit und Wesenhaf-
tigkeit eines ihm eigenen Profils erfassen." (Eco, 1973: 233)
Ent-Setzte Lektüren: Antoni Tàpies'
Memòria personal
Abb. 1:
Figura de paper de diari i fils (1946, Museu d'Art Contemporani,
Barcelona: mixed media auf Leinwand, 62 x 51).
Fondation Antoni Tàpies Barcelona / VG Bild-Kunst, Bonn 2013
lung, Herstellung bzw. Reparatur von Gewebe). Es zählt zu den intrikaten
Spielen des Antoni Tàpies, dass beide Materialien aufgrund kultureller
Denotate (Text als Gewebe, Information als Faden des Texts) so aufein-
ander verweisen, dass sie sich ergänzen, damit aber auch Konvention und
Fiktivität dieser Lesart aufheben, wobei der Bildtitel durch den Hinweis auf
ein Darzustellendes mit der ursprünglich theologischen Notion „
figura" 32auf eine Konkretisation eines ursprünglich Absenten abzielt.
Wenn, wie oben gezeigt wurde, in
Memòria personal der Fundus der
Weltliteratur den psychologischen Unterbau einer später zu dekonstruie-
renden Emphase traditioneller Ausdruckskunst bildet, scheint gerade die
Autobiographie mit ihren Mechanismen der Maskierung und Verstellung
ein subtiler Weg, die Subversion dieser Ordnung auf den Weg zu bringen
und die äußere Wirklichkeit dadurch zu erretten, dass die im Text trans-
portierten Intensitätsmomente in ihrer Materialität erkennbar werden.
Betrachtet man das Verhältnis von Tàpies' Memoirenwerk zu seinen
künstlerischen Arbeiten unter dem Blickwinkel der Materialselektion, so ist
bemerkenswert, dass das Verfahren intertextueller Einschreibung mit
einem offenkundig niedrigeren Wiedererkennungsfaktor sich in einigen der
gezeigten Beispiele an einen wesentlich spezialisierteren Rezipientenkreis
wendet als die provokante Inkorporierungspraxis in den Bildwerken.
Gerade in Tàpies' Bildwerk „ist alles zitierbar geworden – wichtig bleibt
allein, dass das Zitat als Zitat erfahren werden kann" (Gumbrecht, 1991a:368). Demgegenüber erweist sich, wie wir sahen, das Erzählen über das
(vermeintlich eigene) Leben als literarisch kodiert, wobei wenigstens ein
Teil der dargestellten Beispiele sich als explizite Stilisierungen nachweisen
lassen. In jedem Fall allerdings erweisen diese sich als indifferent gegen-
über dem ursprünglichen Ambiente des eingearbeiteten Materials:
Und gerade diese Emphase des Zitierens ist meines Erachtens ein wichtiges Indizdafür, dass eine neue Struktur von Zeitlichkeit im Entstehen ist […]. In dem sie das in
Simultanität rücken, was das historische Bewusstsein in Epochen geschieden hatte,negieren sie […] die lineare Zeitlichkeit. (Gumbrecht, 1991a: 368)
In ähnlicher Weise, wie Hans Ulrich Gumbrecht die intertextuelle
Beliebigkeit postavangardistischer Texte als Indiz einer eigenen Identität
erkennt, wird bei Tàpies das Zitat oft nicht mehr als Zitat erfahren, son-
dern als Ausweis einer gesteuerten Hybridie, einer Maskenhaftigkeit dereigenen Rede, die Authentizität modelliert, statt sie vorauszusetzen.
32 Vgl. zum Begriff der
figura im poetologischen Kontext den immer noch grundlegenden
Aufsatz von Auerbach (1938).
Ent-Setzte Lektüren: Antoni Tàpies'
Memòria personal
Adorno, Theodor W. (1968): „Rückblickend auf den Surrealismus", in:
ders.:
Noten zur Literatur I, Frankfurt am Main: Suhrkamp, 155–162.
— (1969): „Zu Subjekt und Objekt", in: ders.:
Stichworte. Kritische Modelle 2,
Frankfurt am Main: Suhrkamp, 151–168.
— (1973): „Die Kunst und die Künste", in: ders.:
Ohne Leitbild. Parva aes-
thetica, Frankfurt am Main: Suhrkamp, 168–192.
— (1977):
Ästhetische Theorie, Frankfurt am Main: Suhrkamp.
Alberti, Leon Battista (1975):
De pictura. Reprint a cura du Cecil Gryason,
Rom / Bari: Laterza.
— (2010):
Della pittura. Über die Malkunst, eds. Oskar Bärtschmann / San-
dra Gianfreda, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft.
— (2011):
Das Standbild. Die Malkunst. Grundlagen der Malerei, eds. Oskar
Bärtschmann / Christoph Schäublin, Darmstadt: Wissenschaftliche
Auerbach, Erich (1938): „Figura",
Archivum Romanicum 22, 436–489.
Barck, Karlheinz / Steinwachs, Burkhart / Wolfzettel, Friedrich (eds.)
(2000):
Ästhetische Grundbegriffe, 7 vols., Stuttgart: Metzler.
Benjamin, Walter (1977 [1936]): „Das Kunstwerk im Zeitalter seiner tech-
nischen Reproduzierbarkeit", in: ders.:
Illuminationen. Ausgewählte Schrif-
ten, Frankfurt am Main: Suhrkamp, 136–169.
Boccioni, Umberto (1970 [1912]): „Manifesto tecnico della scultura futu-
rista", in: Apollonio, Umbro:
Futurismo, Milano: G. Mazzotta, 97–105.
— (1972): „Die futuristische Bildhauerkunst", in: Apollonio, Umbro (ed.):
Der Futurismus, übers. von Christa Baumgart und Helly Hohenemser,Köln: Dumont, 66–73.
Bürger, Peter (2002): „Eine Welt der Ähnlichkeiten. Versuch über die
Schrift im Werk von Antoni Tàpies", in: ders.:
Das Altern der Moderne –
Schriften zur bildenden Kunst, Frankfurt am Main: Suhrkamp, 135–153.
Buisine, Alain (1992): „Serge Doubrovsky ou l'autobiographie postmoder-
ne", in Hornung / Ruhe (eds.), 159–168.
Berg, Walter Bruno (2000): „Vom Fegefeuer des Anderen zum Paradies
die Eigenen: die Suche nach dem Stil und die Rolle des Pastiche bei
Proust", in: Ingenschay, Dieter / Pfeiffer, Helmut (eds.):
Marcel Proust
und die Kritik, Frankfurt am Main: Insel, 11–37.
Bertho, Sophie (2003): „Proust und die Steine von Venedig", in: Corbi-
neau-Hoffmann, Angelika (ed.):
Marcel Proust – Orte und Räume, Frank-
furt am Main: Insel, 179–200.
Catoir, Barbara (1987):
Gespräche mit Antoni Tàpies. Mit einer Einführung zum
Gesamtwerk, München: Prestel.
— (2003):
Empremtes – Spuren. Antoni Tàpies, Köln: Dumont.
Corominas, Joan (1967):
Breve diccionario etimológico de la lengua castellana, Ma-
drid: Gredos.
D'ací i allà. Número extraordinari de Nadal dedicat a l'art del Segle XX, XXII, 179
d/9251/rec/179> [letzter Zugriff: 28.3.2013].
Dällenbach, Lucien / Hart Nibbrig, Christiaan L. (eds.) (1984):
Fragment
und Totalität, Frankfurt am Main: Suhrkamp.
Dalí, Salvador (2004 [1971]):
Oui, Paris: Denoel.
Da Vinci, Leonardo (1883):
The Notebooks of Leonardo da Vinci. Compiled
and edited from the original manuscripts by Jean Paul Richter, London:
Sampson-Marston-Searle-Rivington, 2 vols. [unveränderter Nachdruck:New York: Dover, 1970].
— (1924):
Trattato della pittura, Laciano: Carrabba.
— (2005):
Skizzenbücher, ed. H. Anna Suh,
Köln: Parragon.
Delacroix, Eugène (1923):
Oeuvres littéraires. I: Études esthétiques, ed. Élie
Faure, Paris: G. Crès & Cie (Bibliothèque dionysienne).
De Man, Paul (1988):
Allegorien des Lesens, Frankfurt am Main: Suhrkamp.
— (1993):
Die Ideologie des Ästhetischen, Frankfurt am Main: Suhrkamp.
Derrida, Jacques (1992):
Die Wahrheit in der Malerei, Wien: Passagenverlag.
Dirscherl, Klaus (1986): „Fragmente bildnerischen Denkens. Der Maler
Antoni Tàpies als SchriftstellerAutor",
Iberoamericana 10:2/3, 71–86.
Eco, Umberto (1973):
Das offene Kunstwerk, übers. von Günther Memmert,
Frankfurt am Main: Suhrkamp.
— (1980 [1962]):
Opera aperta. Forma e indeterminazione nelle poetiche contempo-
ranee, Turin: Bompiani.
Ent-Setzte Lektüren: Antoni Tàpies'
Memòria personal
Éluard, Paul (1968):
Oeuvres complètes, 2 vols., Paris: Gallimard (Bibliothèque
de la Pléiade).
Ernst, Max (1937):
Au delà de la peinture, Paris / London: Ed. Cahiers d'Art
[benutzte Ausgabe: Ders. (1970):
Écritures, Paris: Gallimard, 235–269].
Fetscher, Justus (2001): „Fragment", in Barck / Steinwachs / Wolfzettel
(eds.), Bd. 2, 551–588.
Foucault, Michel (1971):
Die Ordnung der Dinge, Frankfurt am Main: Suhr-
kamp (französische Erstausgabe:
Les mot et les choses, Paris: Gallimard,
Franzke, Andreas / Schwarz, Michael (1979):
Tàpies. Werk und Zeit, Stutt-
gart: Hatje Cantz.
Gauguin, Paul (1989):
Avant et après, Paris: Ed. Avant et Après.
Ginzburg, Carlo (1979): „Spie. Radici di un paradigma indiziario", in: Gar-
gani, Aldo (ed.):
Crisi della ragione, Turin: Enaudi, 57–106.
Gumbrecht, Hans Ulrich (1991a): „Die Postmoderne ist (eher) keine Epo-
che", in Weimann / ders. (eds.), 366–369.
— (1991b): „Tod des Subjekts als Ekstase der Subjektivität", in Weimann,
/ ders (eds.), 307–312.
Jameson, Fredric (1986): „Zur Logik der Kultur im Spätkapitalismus", in:
Huyssen, Andreas / Scherpe, Klaus R. (eds.):
Postmoderne. Zeichen eines
kulturellen Wandels, Hamburg: Rowohlt, 45–102.
Hjerter, Kathleen H. (1986):
Double Gifted. The Author as Visual Artist, New
York: Abrams.
Hornung, Alfred / Ruhe, Ernstpeter (eds.) (1992):
Autobiographie & Avant-
garde, Tübingen: Narr.
Kracauer, Siegfried (1979):
Theorie des Films. Die Errettung der äußeren Wirk-
lichkeit, Frankfurt am Main: Suhrkamp.
Kris, Ernst / Kurz, Otto (1980):
Die Legende vom Künstler. Ein geschichtlicher
Versuch, Frankfurt am Main: Suhrkamp.
Kuspit, Donal (1995):
Der Kult vom Avantgarde-Künstler, Klagenfurt: Ritter.
MacLuhan, Marshall (1964):
Understanding Media: The Extensions of Man,
New York: Mentor (benutzte Ausgabe: Cambridge MA: MIT Press,
Mallarmé, Stéphane (2003):
Oeuvres, 2 vols., Paris: Gallimard (Bibliothèque
de la Pléiade).
Man Ray (1963):
Selbstporträt, München: Schirmer und Mosel, 1983.
Mann, Thomas (1902): „Tristan", in: ders.:
Sämtliche Erzählungen, Frankfurt
am Main: S. Fischer Verlag, 170–206.
— (1924):
Der Zauberberg, Stuttgart / Hamburg / München: Deutscher
Maragall, Joan (1981 [1902]): „Tristany i Isolda", in: ders.:
Obres completes 1:
Obra poètica, traduccions, prosa, epistolari, pròleg de Josep Carner, Barce-
lona: Selecta, 541–572.
Menge, Hermann (1913):
Griechisch-deutsches und deutsch-griechisches Wörterbuch,
Teil I, Berlin: Langenscheidt.
Mensching, Gustav (1957): „Berufung", in: Campenhausen, Hans von /
Galling, Kurt (eds.):
Die Religion in Geschichte und Gegenwart, Bd. 1, Tübin-
gen: Mohr, 1084–1089.
Merleau-Ponty, Maurice (1963):
Phénoménologie de la perception, Paris: Gallimard.
Messer, Thomas M. (1993):
Antoni Tàpies. Eine Retrospektive, München: Prestel.
Mosebach, Martin (1999): „Marcel Prousts Lektüre von ‚1001 Nacht'", in:
Maar, Michael /Speck, Reiner (eds.):
Marcel Proust. Zwischen Belle Époque
und Moderne, Frankfurt am Main: Suhrkamp, 101–114.
Museo Nacional Centro de Arte Reina Sofía / Haus der Kunst (eds.)
(2000):
Tàpies – Museo Nacional Centro de Arte Reina Sofía, 7 marzo–8 mayo,
Madrid: MNCARS / München: Haus der Kunst.
Ott, Christine (2012): „Autorschaft oder Mutterschaft – Autorschaft als
Mutterschaft", in: Gronemann, Claudia / Schwan, Tanja / Sieber, Cor-
nelia (eds):
Strategien von Autorschaft in der Romania. Zur Neukonzeption einer
Kategorie im Rahmen literatur-, kultur- und medienwissenschaftlich basierter
Geschlechtertheorien, Heidelberg: Winter, 151–164.
Pfeiffer, Ingrid / Hollein, Max (eds.) (2011):
Surreale Dinge. Skulpturen und
Objekte von Dalí bis Man Ray, Ostfildern: Hatje Cantz.
Platon (1971):
Werke in acht Bänden. Griechisch und deutsch, ed. Gunther Eig-
ler, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft.
Proust, Marcel (1954):
À la recherche du temps perdu, 3 vols., Paris: Gallimard
(Bibliothèque de la Pléiade).
Rißler-Pipka, Nanette / Maurer, Isabel (eds.) (2007):
Dalís Medienspiele,
Ent-Setzte Lektüren: Antoni Tàpies'
Memòria personal
Roloff, Volker (1984):
Werk und Lektüre. Zur Literaturästhetik von Marcel
Proust, Frankfurt am Main: Insel (Publikation der Marcel Proust Gesell-
— (2010): „Anmerkungen zur Poetik der Arabeske – von Friedrich Schle-
gel bis Marcel Proust", in: Geisler-Szmulewicz, Anne / Klein, Franz-
Josef / Hülk-Althoff, Walburga / Tortonese, Paolo (eds.):
Die Kunst des
Dialogs – L'Art du dialogue, Heidelberg: Winter, 143–164.
Sartre, Jean-Paul (1950):
La nausée, Paris: Gallimard.
Schreiber, Richard (1998): „Subjugat per Wagner? Marginalien zu Joan Ma-
ragalls Tristan-Übersetzung", in: Briesemeister, Dietrich / Schönberger,
Axel (eds.):
Ex nobili philologorum officio. Festschrift für Heinrich Bihler zu sei-nem 80. Geburtstag, Frankfurt am Main: DEE, 173–216.
Schvey, Henry I. (1992): „Doppelbegabte Künstler als Seher: Oskar
Kokoschka, D.H. Lawrence, William Blake", in: Weisstein, Ulrich (ed.):
Literatur und Bildende Kunst. Ein Handbuch zur Theorie und Praxis eines kom-
paratistischen Grenzgebiets, Berlin: Erich Schmidt, 73–85.
Tàpies, Antoni (1969): „Comunicació sobre el mur", in ders. (2008), 45–49.
— (1971):
La práctica del arte, trad. Joaquim Sempere, Barcelona: Ariel.
— (1973): „Personalitat, perennitat i joc", in ders. (2008), 65–70.
— (1974):
L'art contra l'estética, Barcelona: Ariel.
— (1977):
Memòria personal, Barcelona: Editorial Crítica.
— (1984): „Escrits de pintors", in ders. (2008), 183–186.
— (1989): „L'art i la natura", in ders. (1993), 199–202.
— (1993):
Valor de l'art, ed. Fundació Antoni Tàpies, Barcelona: Editorial
— (1999):
El arte y sus lugares, Madrid: Siruela.
— (2008):
En blanc i negre (1955–2003), ed. Xavier Antich, Barcelona: Galà-
xia Gutenberg.
Todorov, Tzvetan (1970):
Introduction à la littérature fantastique, Paris: Seuil.
Torres-García, Joaquim (1980):
Escrits sobre art, ed. Francesc Fontbona,
Barcelona: Seix Barral.
Valéry, Paul (1957–1960):
Œuvres, ed. Agathe Rouart-Valéry, 2 vols., Paris:
Gallimard (Bibliothèque de la Pléiade).
Vinken, Barbara (2000): „Curiositas", in Barck / Steinwachs / Wolfzettel
(eds.), Bd. 1, 795–813.
Wagner, Richard (41907 [1857]): „Tristan und Isolde", in: ders.:
Gesammelte
Schriften und Dichtungen, Bd. VII, Leipzig: F. W. Siegel, 1–81.
— (1912):
Tristan und Isolde [Partitur], ed. Felix Mottl, Leipzig: C.F. Peters
[Nachdruck: New York: Dover Publications, 1973].
Wais, Kurt (1937):
Symbiose der Künste. Forschungsgrundlagen zur Wechselbezie-
hung zwischen Dichtung, Bild- und Tonkunst, Stuttgart: Kohlhammer.
Walzel, Oskar (1917):
Wechselseitige Erhellung der Künste. Ein Beitrag zur Wür-
digung kunstgeschichtlicher Begriffe, Berlin: Reuther & Richard.
Warning, Rainer (1999):
Die Phantasie der Realisten, München: Fink.
Warren, Austin / Wellek, René (1963 [11942]):
A theory of literature, New
York: Penguin.
Weimann, Robert / Gumbrecht, Hans Ulrich (eds.) (1991):
Postmoderne –
die globale Differenz, Frankfurt am Main: Suhrkamp.
Wild, Gerhard (1987): „Zur Typologie musikalischer Rezeptionsweisen in
Prousts
Recherche",
Proustiana IV–V, 49–54.
— (1993): „Der Realismus der Diskurse: Zur Ironisierung von Fin-de-
Siècle-Mythologemen in José Maria Eça de Queiroz'
A cidade e as serras",
Lusorama 20, 13–40.
— (1994): „Von der
chambre aux images zur
camera obscura: Medienimagina-
tionen im Lancelot, bei Guillem de Torroella, in den
libros de caballerías,
bei Cervantes und Proust", in: Schönberger, Axel / Zimmermann,
Klaus (eds.):
De orbis hispani linguis litteris historia moribus. Festschrift für
Dietrich Briesemeister, Frankfurt am Main: DEE, 397–429.
— (1999): „Der ‚Stil des Kaputten‘. Fragment und Zitat in der Musik der
Jahrhundertwende (Debussy, Ravel)", in: Drost, Wolfgang / Camion,Arlette (eds.):
Über das Fragment – Du fragment, Heidelberg: Winter, 260–
— (2003): „
Aisthesis,
techné und
memoria: Baudelaires
Peintre de la vie moderne
und Prousts
Recherche als Medienanthropologie", in: Frenz, Dietmar /
Hülk, Walburga / Schwan, Tanja (eds.):
Spektrum. Siegener Perspektiven
einer romanischen Literatur-, Kultur- und Medienwissenschaft, Siegen: Univer-
sitätsverlag Siegen (Reihe Siegen; 148), 105–118.
Ent-Setzte Lektüren: Antoni Tàpies'
Memòria personal
— (2004):
Paraphrasen der Alten Welt. Interkulturelle Ästhetik im Werk von Alejo
Carpentier, Tübingen: Stauffenburg-Verlag (Siegener Beiträge zur roma-
nischen Literatur- und Medienwissenschaft; 17).
— (2006): „Athaumasia – eine Theorie des Staunens aus musealem Geist.
Medienarchäologische Überlegungen zur Protogenese des Surrealis-
mus", in: Felten, Uta / Lommel, Michael / Maurer Queipo, Isabel /
Wild, Gerhard (eds.):
Esta locura por los sueños. Traumdiskurs und Inter-
medialität in der romanischen Literatur- und Mediengeschichte, Heidelberg:
Winter, 67–116.
— (2007): „Heteropoiesis: Wahrnehmung und poetische Ein-Bildungskraft
in Dalís frühen Prosaschriften und ihre Beziehung zur Ästhetik des Finde Siècle", in Rißler-Pipka / Maurer (eds.), 169–201.
— (2008): „"Some of these days, you'll miss me honey". Überlegungen zur
Medialität subjekthafter Schöpfung beim frühen Sartre", in: Roloff,
Volker / Lommel, Michael (eds.):
Sartre und die Medien, Bielefeld: Tran-
script, 171–187.
— (2012): „(K)ein Versuch einer Apologie. Ein Picasso für Katalonien",
in: Rißler-Pipka, Nanette / Wild, Gerhard (eds.):
Picasso – Poesie –Poetik.
Picasso, his Poetry and Poetics. Picassos Schaffen aus literatur-, sprach- und me-dienwissenschaftlicher Sicht, Aachen: Shaker (Biblioteca Catalànica Germà-
nica; 10), 3–12.
— (2014): „L'écriture des peintres",
Cahiers L'Herne 99 [i. Dr.].
Winter, Scarlett (2007): „Das surrealistische Bildtheater Salvador Dalís.
Der Theaterentwurf
Tristán loco", in Rißler-Pipka / Maurer (eds.), 269–
Gerhard Wild, J.W. Goethe-Universität Frankfurt, Institut für Romanische
Sprachen und Literaturen, Grüneburgplatz 1, D-60629 Frankfurt am Main,<
[email protected]>.
Resum: No hi ha gaires temptatives d'analitzar l'obra principal literària de Tàpies segonscriteris de l'estètica literari. El nostre assaig sobre la intertextualitat en la seva
Memòria
personal (1977) vol descriure la dependència d'aquest llibre de varies obres importants de
la literatura mundial. De fet, l'artista va incorporar en el seu text fragments extrets tantde novel·les, contes i drames de Richard Wagner, Thomas Mann, Marcel Proust i Jean-
Paul Sartre, com d'assaigs sobre art clàssic com per exemple de Leonardo da Vinci, de
Max Ernst o de Sir Herbert Read, fins a obres filosòfiques de la tradició idealista des dePlató. L'ús intertextual de Tàpies compren una llarga escala de pràctiques textuals com
la citació directe de títols i frases, la inserció de fragments d'aquests llibres fins a formesencobertes d'incorporació, per exemple, la paròdia i el pastitx. De manera més forta que
en obres autobiogràfiques d'altres autors,
Memòria personal s'inclina cap a transformar-sed'un text documentari en un astut joc entre un autor disfressat en varies mascares esti-
lístiques i un lector més o menys ideal, capaç de discernir les diferents posades narrato-lògiques segons les seves procedències estètiques. Totes aquestes diferents maneres de
mascarada intertextual reflecteixen una consciència altament elaborada de formes genè-
riques i una sagacitat impressionant per als valors semiòtics de texts de la literaturamundial. Al mateix temps, aquests procediments literaris es corresponen amb els prin-
cipis fonamentals de l'estètica de Tàpies en tant que l'aplicació de material textual pre-
existent manifesta una concepció artística comparable a l'arreglament de materials dis-tints en la seva producció pintorística, per exemple en
Figura de paper de diari amb fils(1946).
Summary: There has not been an exhaustive attempt to analyze the literary work ofAntoni Tàpies. His
Memòria personal (1977) in particular did not get the attention it mer-
its as a poetic creation. The central thesis of our study is that
Memòria personal has to beregarded not only as documentary text concerning Tàpies' life, but also as a highly arti-
ficial arrangement of textual fragments. The listing of texts by famous authors that
Tàpies not only read during his whole lifetime but also quoted in the
Memòria personal,enables us to describe a large scale of intertextual levels. The spectrum of incorporated
texts ranges from the mere mention of book titles and the literary insertion of work
segments to highly elaborated forms of stylistic parody and pastiche. As a patchwork ofextraneous literary elements, the supposed autobiography tends to disguise central epi-
sodes in Tàpies' life. All quoted authors, works and genres such as Proust, Mann, Sartreand Wagner refer to a specific concept of incorporating existent former material, while
its use in the text corresponds with Tàpies' view on artistry. Art work becomes a means
to transform reality itself by assembling its fragments in an act of individual craftsman-ship, as may be seen in graphic work like
Figura de paper de diari amb fils (1946). Thus,
Tàpies' use of intertextuality reflects a highly sophisticated view of world literature as a
medium and material of aesthetic creation itself. [Keywords: Intertextuality; artisticmaterial; autobiography; identity; literary camouflage; Proust; Thomas Mann; Sartre;Max Ernst; Leonardo da Vinci]
Source: http://www.romanistik.uni-freiburg.de/pusch/zfk/26/11_Wild.pdf
Academic Licensing Agreements Using Academic License Agreements To Promote Global Social Responsibility By Ashley J. Stevens D.Phil (Oxon) and April E. Effort I. Abstract Anderson, Anderson and Company; Alan Bennett, he impetus to use academic innovations to University of California Davis; Ian Bell and Angus Liv- enhance peoples' lives in the developing
Criteria for Palliation of Bone Metastases – Clinical Applications Criteria for Palliation of Bone Metastases – Clinical Applications The originating Section of this publication in the IAEA was: Nuclear Medicine Section International Atomic Energy Agency